Geistlicher Impuls zum Donnerstag in der Fünften Osterwoche

Sündenfall

Das Evangelium und andere Texte für den heutigen Tag finden Sie in der Online-Kalender-Version des Schott-Messbuches der Erzabtei in Beuron.

 

IMPULS

 

Es war Anfang Mai. Seit Jahren nicht mehr gestutzte Thuja-Lebensbäume trennten die gepflegten Häuser in bester Wohnlage vom aufgegebenen Gärtnereigelände eines Klosters. Ein ideales Gelände für Kaninchen. Hundehalter hatten schmale Pfade durch die Wildnis getrampelt.

Als ich dort entlang ging sah ich, wie ein Junge auf einem alten Stapel gerodeter Bäumstämme saß und Haselnussruten schnitzte, dass die Späne nur so flogen. Plötzlich hielt er inne und beobachte ein etwa fünfjähriges Mädchen, das gebückt aus einem der vornehmen Nachbargärten durch die Thujahecke schlüpfte. Ihre eine Hand sorgte beim Aufrichten für Gleichgewicht die andere hielt eine zerknitterte Plastikflasche. Mit Hingabe begoss das Mädchen eine Stelle, an der hellviolettes Wiesenschaumkraut blühte. Der wunderschön dichte Blütenfleck innerhalb der verwilderten 40 000 qm lag ihm sehr am Herzen, denn Mal um Mal wiederholte es sein lebenspendendes Tun.

Als das Kind sich nach einem gefühlten Dutzendmal erneut zum Wasserholen in den heimischen Garten aufmachte, glitt der vielleicht 2 Jahre ältere Junge von seiner erhöhten Position herab, sprang in mehreren Sätzen zu dem frisch begossenen Fleck und köpfte mit energischen Schlägen der Haselnussrute die blühenden Blumen. Genauso entschlossen lief er hinter den Holzstapel zurück und beobachtete versteckt die Wirkung seiner Tat.

Erst als das Mädchen erneut inmitten seines Paradiesgärtchens stand, erkannte es die Verwüstung. Vor Enttäuschung fiel ihm die Plastikflasche aus der Hand. Beim Aufprall zerschnitt ein lauter Knall der Plastikhülle die angespannte Stille. Das Mädchen schaute sich um, entdeckte aber weit und breit keinen Verursacher des Sündenfalls, so sehr es auch späte. Enttäuscht, mit verlangsamten Bewegungen, pflückte es noch einen kleinen Strauß am Rande des Schlachtfeldes und verschwand gebückt durch die Thujahecke.

Dürfen wir uns damit abfinden, dass die eine so und der andere so ist, - so aufwächst – so wird? Wie weit prägen mich Erfahrungen des Behütetseins oder der Gewalt? Steckt in jedem von uns beides: Freude am Schenken und Lust am Zerstören? Was an mir ist „gottgegeben“?

 

Theo Schneider SJ