Geistlicher Impuls zum Palmsonntag

Kleine Eselei

Das Evangelium und andere Texte für den heutigen Tag finden Sie in der Online-Kalender-Version des Schott-Messbuches der Erzabtei in Beuron.

 

IMPULS

Am heutigen Palmsonntag möchte ich eine Lanze für den Esel brechen. Er wird zu oft unterschätzt. Heute darf er einmal eine wichtige Rolle spielen: als Reittier für Jesus beim Einzug nach Jerusalem. Das ist kein Zufall. Der Esel ist unersetzlich, nicht nur am Palmsonntag.

In Rom hat sich eine Karikatur aus der Frühzeit des Christentums erhalten. Ein in die Wand geritztes Graffiti zeigt einen Menschen, der am Kreuz hängt. Allerdings mit einem Eselskopf. Daneben steht ein Junge, die Hand betend zum Kreuz hin erhoben. Die Bildunterschrift: „Alexamenos betet seinen Gott an.“

Ein Gott am Kreuz ist ein Esel. Und wer einen solchen Gott anbetet, ist auch einer. Die Karikatur erinnert an ein Wort des Apostels Paulus:

Wir verkünden Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein Ärgernis, für Heiden eine Torheit“ (1 Kor 1,23).

Ein Gott, dessen Liebe so verrückt ist, dass er sein Liebstes bis ins Extrem für uns dahingibt? Ein Gott, der sich aufs Kreuz legen lässt? Religiöse Geschmacksverirrung (Ärgernis) und denkerischer Blödsinn (Torheit)! Paulus bleibt stur, man möchte sagen stur wie ein Esel: Er sieht im Kreuz Christi „Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1 Kor 1,24).

Jesus hat – als Messias, als Repräsentant und Veranschaulichung Gottes! – für seinen Einzug in Jerusalem einen Esel ausgewählt. Nicht das Ross des triumphierenden Königs, sondern das demütige Lasttier der Kleinen. Nicht die Durchschlagskraft äußerer Machtentfaltung, sondern die subversive Kraft beharrlich dienender Liebe. Wäre dieser Esel des Herrn nicht ein passendes Wappentier für uns?

Clemens Maaß SJ