13. und letzter Bericht aus Tacoma von Anna-Lena

Jetzt richtet sich der Blick nach vorne!

 

 

Bericht 13 - August                 Göttingen, 02.09.2015

Liebe Unterstützer, Freunde, Verwandte und Bekannte,

Die letzten zwei Wochen stehen an, und zwei Wochen vergehen wirklich fast so schnell wie ein Fingerschnipsen. Und doch ist es gerade in den letzten Wochen so unwirklich, dass es nun bald zurück nach Deutschland geht. Ach, ist ja noch viiiiel Zeit... und dann ist man am Kofferpacken, in der Nacht vor der Abreise.
Und bei allem und jedem denkt man permanent: zum letzten Mal. Das letzte Mal, dass ich auf den Markt gehe, dass ich mittwochs mit allen Abendesse, dass ich die Hühner füttere, usw.

Anfang des Monats hatte die Arche Geburtstag, wir haben uns alle bei Ananda in der Scheune versammelt, über die L'Arche Tahoma Hope gesprochen und zusammen Mittag gegessen. Die nächste Woche gab es dann gleich noch ein Gemeinschaftsevent, den „Commitment and Belonging Day“ (Zusage- und Zugehörigkeits-Tag, auf englisch klingt das irgendwie besser). Da gab es zu meiner Freude ganz viel Zeit, um mit jedem mal zu quatschen, dabei konnte man dann Collagen und kleine Gebetsflaggen basteln.

Auf der Farm werden immer mehr Sachen reif, Tomaten und Bohnen im Überfluss, dazu Zucchini, Gurken, Knoblauch, Äpfel, Birnen, Pflaumen, Heidelbeeren und sogar einige Wassermelonen. Ansonsten wächst uns das Unkraut über den Kopf, weil wir soviel Zeit mit Gießen verbringen müssen. Die eine Hälfte der Scheune, die seit Jahresanfang renoviert wird, ist mittlerweile auch fertig. Neue Fenster, neue Isolation, neuer Boden – sieht ziemlich gut aus!

Die Arbeit im Haus geht mir jetzt am Ende mit einer Leichtigkeit von der Hand wie ich es am Anfang überhaupt nicht hatte erträumen können. Über die Zeit habe ich immer mehr Sicherheit und Selbstbewusstsein im Umgang mit unbekannten und schwierigen Situationen in L'Arche bekommen. Zum Beispiel musste ich einen Tag nachmittags schon im Haus sein, da sonst niemand Zeit hatte. Plötzlich sah ich mich dann mit acht Core Members aus dem Day Support (das ist eine Einrichtung, die mit allen Core Members der Gemeinschaft, die an dem Tag nicht zur Arbeit gehen, Sachen unternimmt. Zweimal die Woche treffen sich alle im Farmhouse, die anderen Tage geht es in die anderen Häuser) alleine, die Hälfte davon kenne ich auch nicht besonders gut. Als dann auch noch Leute auf Klo mussten und eine angefangen hat, mal wieder den Kühlschrank zu durchsuchen, wurde es schon leicht stressig. Aber keine Panik, das wird schon alles. Und tatsächlich wurden alle bis auf vier innerhalb der nächsten zehn Minuten abgeholt und schon war wieder einigermaßen Ruhe im Karton.

Inzwischen hilft mir Kendyl fast immer beim Kochen oder Backen, da ist sie mittlerweile auch eine echte Hilfe und wir sind ein eingespieltes Team.

Endlich sind auch die zwei neuen Assistants für Farmhouse angekommen, Gretchen und Katie! Sie werden mindestens für ein Jahr dort arbeiten und scheinen sehr nett. Im Moment wohnen also 11 Leute im Farmhouse, und damit sind noch immer nicht alle Schlafzimmer belegt! Ende August wird auch eine neue In Via-Freiwillige dort einziehen, die meine Position einnehmen wird. Für mich war es gut zu sehen, dass ich meine geliebten Farmhouseleute in gute Hände weitergebe.

Es hat mir auch großen Spaß gemacht, die beiden willkommen zu heißen und dabei zu helfen, dass sie sich wohlfühlen, in die Arbeit eingearbeitet werden und sich möglichst schnell als Teil der Gemeinschaft verstehen.
Auch auf der Farm sind neue Freiwillige angekommen, ein weiteres Zeichen, dass meine Zeit vorbei ist und eine neue Ära beginnt.

Lauren, meine Mitbewohnerin und Mitarbeiterin auf der Farm, hat seit neustem ein Kanu, das wir natürlich ausprobieren mussten. Als Location haben wir uns den Spanawaysee ausgeguckt und nach einigen Problemen mit extrem flachem Gewässer am Ufer konnten wir endlich lospaddeln. Wir haben uns den See mit Wasserskibegeisterten, Anglern und einigen Fischen geteilt und die Aussicht auf – was auch sonst – den Berg Mt. Rainier genossen. Nachdem wir uns beim Paddeln ausgepowert hatten, gingen wir auf Donutsuche. Was wir nicht bedacht haben war, dass es Sonntagnachmittag war und nahezu alle Amis ihre Donuts lieben. Die ersten 4 Läden, die wir aufgesucht haben, waren also ausverkauft. Da wir unsere Mission aber nicht ohne Ergebnis aufgeben wollten, fuhren wir immer weiter zum nächsten Donutbäcker, bis wir endlich einen Erfolg melden konnten.

Ein letztes Mal musste ich natürlich auch zum Square Dance gehen, zu meinem Glück war am ersten Samstag im Monat ein Tanz, wo ich mich von den ganzen Leuten verabschieden konnte.

Nachdem Heidi von meinen Studienplänen erfahren hat, hat sie für mich einen Laborbesuch organisiert. Netterweise bekam ich dafür auf der Farm frei und so konnten wir morgens früh nach Seattle aufbrechen, um ihre Freundin Lee und deren Labor im Krebsforschungszentrum zu besuchen. Nach einer kurzen Tour durch das Gebäude und Labor habe ich mich der Reihe nach mit allen Laboranten unterhalten, was ziemlich interessant war. Allerdings hatten wir staubedingt leider nicht so viel Zeit wie geplant und der Vormittag verging wie im Flug.

Die beiden Wochen waren auch vollgestopft mit Treffen. Man muss ja mit diesem noch Kaffeetrinken und mit jenem Zeit verbringen. Zum Beispiel war ich mit Leana, einer guten Freundin von der Farm, in einem Café, wo wir einige Polizisten beschattet haben (die fanden das zum Glück auch witzig). Dazwischen brauchte ich aber auch einige Zeit für mich selbst, um alles verarbeiten zu können.

Neben meinem Wunsch, die letzten Wochen bewusst mit den ganzen Leuten der Gemeinschaft zu verbringen, musste ich auch den Blick nach vorne richten: WG- und Zimmersuche ist angesagt! Gar nicht so leicht, wenn man sich (noch) am anderen Ende der Welt befindet, aber zum Glück gibt es ja das Internet...

In der zweiten Woche waren für zwei Nächte Sternenregen angesagt, in einer kleinen Gruppe haben wir also des Nachts draußen auf Decken gelegen, uns unterhalten und in den Himmel gestarrt, um auch ja keine Sternschnuppe zu verpassen. Begleitet von „Ahs“ und „Ohs“ zischten dann auch kurze und lange, helle und weniger helle Sternschnuppen über uns über den wolkenfreien Himmel, ein Gefühl, dass man gar nicht richtig beschreiben kann.

Mit Inga und Brittni habe ich das gute Wetter genutzt, um in der Gegend des Mt. Rainier wandern zu gehen. Wir hatten und einen nicht allzu anstrengenden Wanderweg zum „Schneesee“ ausgesucht (Schnee war da allerdings nicht), der uns mit unglaublich türkisem Wasser verzauberte. Die Spitze des Mt. Rainier war leider hinter den Wolken verborgen. Zum Mittagessen hatten wir uns ein Sandwich gemacht, das wir am See verzehrten, wobei wir Besuch von einem vorwitzigen Streifenhörnchen bekamen.

Am Abend vor meiner Abreise bin ich nochmal mit einigen Assistants zu Shari's gegangen, um Pieshakes zu trinken und Geschichten aus dem Jahr zu erzählen. Anschließend habe ich mit Brittni, Pietro und Hannah, also meinem Hausteam, noch bis spät in die Nacht im Flur gesessen und wir konnten alle gar nicht fassen, dass es nun wirklich zuende geht. Hannah wird auch Ende des Monats ausziehen, und Pietro wird in ein anderes Archehaus umziehen, weil er dort mehr gebraucht wird. Es bleibt also nur Brittni aus dem alten Team im Farmhouse wohnen. Noch später in der Nacht musste ich dann noch meinen Koffer packen...

Am nächsten Morgen habe ich noch emsig die letzte Ladung Wäsche gewaschen, das Zimmer fertig aufgeräumt und alle Sachen verteilt, die ich nicht mitgenommen habe. Dazwischen blieb aber noch einige Zeit, meine Farmhouseleute zu umarmen und sich gegenseitig zu versichern, dass man sich lieb hätte. Brittni, Pietro, Hannah und Doug haben sich alle die Freiheit genommen, mich zum Flughafen zu begleiten und so quetschten wir uns mit dem Gepäck ins Auto. Einmal winken und schon stehen den ersten die Tränen in den Augen. Am Flughafen war der Abschied lang, aber irgendwann muss man dann doch durch die Sicherheitschecks gehen.

Der Flug verlief gut, in Frankfurt angekommen ging auch alles ganz schnell. Mein Koffer hat glücklicherweise den selben Flug genommen wie ich und dann konnte ich auch endlich meine beiden Schwestern in die Arme schließen, die mich abgeholt haben.

So, das war denn auch der letzte Bericht, ich hoffe, sie sind euch, lieben Lesern, nicht zu lang geworden. Jetzt geht der nächste Lebensabschnitt los, so schwer das auch fällt. Viel erlebt und viel gelernt und noch mehr tolle Leute kennengelernt. Da ist es nicht einfach, alles, was man mühsam errichtet hat, zurückzulassen. Aber es war bestimmt nicht das letzte Mal, dass Tacoma mich gesehen hat...

Alles Liebe,
Anna Lena

annalena@weingut-schick.de