25 Jahre Mittagstisch Sankt Michael - Der Rathaussaal wird zur Arena

P. Friedhelm Hengsbach SJ referiert und ein kritisches Podium nimmt Stellung

 

 

 

P. Hösl SJ durfte in der Arena des neuen Rathauses das erste Wort haben und begrüßte die gekommenen Gäste zu einem sehr spannenden Abend. Auch wenn die ansässigen, gewählten Ratsherren nur z.T. anwesend waren wurde heftig debattiert und diskutiert.

Oberbürgermeister Köhler (SPD) sprach das erste Grußwort. Er spielte mit dem Gedanken: Ist es eigentlich gut, dass es den MT gibt oder geben muss? Oder wäre es besser ihn abzuschaffen, d.h. überflüssig zu machen? Sein Gedankenspiel sollte eine lange Nachwirkung bei den Diskutanten haben...

Das zweite Grußwort sprach Wigbert Schwarze, Dechant und Katholikenoberhaupt Göttingens. Ihm lag es am Herzen zu betonen, dass der MT zum Dekanat als solchem gehört. Am Beispiel Wem gehört der Kölner Dom? erläuterte er seinen Gedanken. Der Kölner Dom gehört allen, nicht nur der Domgemeinde, nicht nur den Katholiken oder den Christen - allen Kölnern! Und genauso verhält es sich mit dem Mittagstisch Sankt Michael - er ist hoffentlich ein Anliegen aller Katholiken, Christen, Göttinger!

Dann hatte der Vorsitzende des Fördervereins, Wolfgang Müller, das Wort - er hatte auch die organisatorische Arbeit an diesem Tag weitgehend übernommen - und begrüßte die Gäste im einzelnen, besonders die Schulleiter der katholischen Schulen Boni I und Boni II, sowie alle fünf Göttinger Gymnasien.

Dann erhielt der Referent des Tages, P. Friedhelm Hengsbach das Wort. Er griff auf basale Aussagen des Evangelium zurück: Eigentlich sollte es gar keine Armen unter euch geben. Und wenn doch: Dann müsst ihr ihnen helfen!

Das erste Wort galt seinen Erfahrungen am Mittagstisch. Er hatte dort selber zu Mittag gegessen. Am meisten sind ihm positiv aufgefallen, dass auch die Hunde dort sein dürfen. Zusammen ist man weniger einsam, zitierte P. Hengsbach. Und sah hier schon den Mehrwert des MT. Er beschwor die Hoffnung, dass es mal ein Leben nach dem Mittagstisch gibt. Nur wie realistisch ist das?

In seinem Hauptpunkt schwenkte der Sozialphilosoph über zur Wirtschaftspolitik und -ethik allgemein und bezog sich auf die nüchternen Fakten: Wie steht es um die Zahlen? Es gibt blendende Zahlen: Deutschland geht es demnach so gut wie nie zuvor! Die schwarze Null ist wieder mal erreichbar. Die Arbeitslosenzahl ist auf einem Rekordtief...

Aber man könnte auch andere Zahlen nennen. Etwa die immer größere Zahl von Langzeitarbeitslosen. P. Hengsbach kritisiert eine Wettbewerbsraison, wo der Sozialstaat dem Wettbewerbsstaat diametral gegenüber steht. Im Kern macht dies P. Hengstbach an drei Kriterien fest:

1. Demontage der Sozialversicherungssysteme

2. Entregelung der Arbeitsverhältnisse

3. Annäherung an den US-Finanzkapitalismus, satt Fortführung des "rheinischen Kapitalismus" à la Adenauer und Erhard.

Bei der Bankenkrise seien die Verursacher verschont geblieben, die Bevölkerung dagegen habe die Zeche bezahlen müssen. Friedhelm Hengsbach zählte ein paar "Legenden" auf, Dinge, die sich in vielen Köpfen festgesetzt hätten, ohne dass man sie auf ihren Gehalt wirklich überprüft hätte. Etwa: Wer reich ist schafft Arbeitsplätze. Oder: Wer viel arbeitet wird reich. Oder: Wer reich ist investiert, u.v.a.m. Die Reichen sind nach P. Hengsbach sehr umworben, das Privateigentum erscheint wie gottgegebenes Recht ohne jeglichen Verpflichtungscharakter.

Der MT ist für ihn wie ein Brennglas all dieser Probleme. Er spiegelt die Armut der Gesellschaft wieder, aber beseitigt er sie auch? Oder macht er sich gar zum Komplizen bei der Abschaffung des Sozialstaates? Die Ehrenamtlichen beschämen laut P. Hengsbach die politische Klasse, sie betreiben eine stille Rebellion gegen den Staat, der sich von Barmherzigkeit verabschiedet habe, so der Referent.

Thomas Oppermann u.a. rutschten inzwischen schon etwas auf ihren Stühlen herum. Im jetzt sich anschließenden Podium konnte der SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, sowie weitere Disputanten reagieren. Dies waren: Georg Bartelt (Ehrenamtlicher Helfer beim MT und Schullleiter des Hainberggymnasiums), Sandra Bradt (Gast und Mitarbeiterin des MT), Clemens Freiherr von Wendt (Mitglied des Beirates im MT sowie langjähriger Arbeitgeberpräsident in der Region), sowie Prof. Stephan Klasen von der Wirtschaftsfakultät der Universität Göttingen.

T. Oppermann bezweifelte die seiner Meinung nach allzu einfach Rechnung, dass wenn die Reichen (auch) ärmer wären alle etwas reicher wären. Ohne Wettbewerbsfähigkeit gebe es keinen zu verteilenden Reichtum, so der SPD - Politiker. Er nannte 5 Dinge, die seiner Meinung nach auch in diesem Kontext geboten seien: 1. Eine Re-Regulierung der Arbeitsverhältnisse (gegen das Lohn Dumping) 2. Mehr Bildung, 3. eine aktive Arbeitsmarktpolitik, 4. eine angemessene Steuerprogression sowie 5. eine starke Sozialpartnerschaft.

Der Moderator, Prof. Hubert Merkel, brachte immer wieder die Bezugsgröße des heutigen Abends ein - den MT. Nicht alle politisch diskutierten Vorschläge würden in der Turmstraße greifen. So sei es für die meisten Gäste in Sachen Bildung schlicht zu spät.

Clemens Freiherr von Wendt wandte sich gegen die Mähr, dass es besser sei, alle wären arm als einer reich. Er plädierte für ein Gleichgewicht und eine Balance von Leistungsbereitschaft, Leistungsmöglichkeit und Bedürftigkeit, das sich im (katholischen) Subsidiaritätsprinzip ausspreche.

Prof. Klasen meinte, dass im MT nicht nur Essen ausgegeben werde, sondern auch Werte erlernt würden. Die Engagierten vor Ort, z.B. Schüler oder Praktikanten praktizieren konkrete Solidarität, die erlernt und erfahren werden kann und muss. Insofern ist der MT ein Lernort für solche Werte und hat von daher eine bleibende gesellschaftliche Relevanz. Er knüpfte hiermit an einen Satz von Ralf Reinke, dem langjährigen Leiter des MT an, der sagte, dass ihm das Schenken und Erfahren von Würde am wichtigsten gewesen sei. Auch Georg Bartels konnte dies, selber Ehrenamtlicher, aber auch Lehrer bestätigen. Insofern ist eine Erübrigung des MT, wie sie der Oberbürgermeister zu Beginn des Abends in Aussicht gestellt hatte, gar nicht anzustreben. Aber, so ein Konsens des Abends, der MT muss nicht so bleiben wie er jetzt ist.

Um 19:30 Uhr schließlich beendete Moderator Hubert Merkel die spannende Diskussion. Wer mochte konnte sie im kleinen Kreis noch in einer Gaststätte fortsetzen. P. Friedhelm Hengsbach saß zu diesem Zeitpunkt schon wieder in seinem Zug nach Ludwigshafen...