Cityseelsorge in spannenden Zeiten

Die SJ-Cityseelsorger trafen sich in Berlin zum Austausch

 

Im lockeren Zweijahresrhythmus treffen sich die Cityseelsorger unter den Jesuiten, diesmal in St. Canisius / Berlin. Joachim Gimbler SJ hatte zu dem Treffen (11.-13.2.2014) eingeladen, das von Dienstagnachmittag bis Donnerstagmittag dauerte. Da nicht alle Teilnehmer in der Kommunität unterkommen konnten, hatte er im Cansiuskolleg und in einem Hotel Zimmer reserviert. Einige Mitbrüder waren auch privat untergekommen.

Angereist waren die Cityseelsorger aus Berlin, Frankfurt, Göttingen, Hamburg, Köln, München Nürnberg, Stockholm, Luzern, Wien, Innsbruck und Prag sowie P. Provinzial Stefan Kiechle SJ. Von den Mitbrüdern vor Ort lieferten Hermann Breulmann SJ, Georg Maria Roers SJ, Matthias Rugel SJ sowie Frau Paula von Loe, die Gemeindereferentin an St. Canisius, Beiträge zum Treffen.

Den größten Raum nehmen traditioneller Weise die Berichte aus den verschiedenen Städten ein – hier ein kleiner Rundlauf!

Göttingen, so P. Manfred Hösl SJ, steht ganz unter dem Eindruck der geplanten und jetzt anstehenden Innenrenovierung. „Endlich geht es los!“, so Manfred Hösl SJ, aber vielleicht hat die Gemeinde die vergangen zwei Jahre des Planens gebraucht, um die Herausforderungen wahrzunehmen?

Was in Göttingen ansteht ist in Hamburg schon vollendet. P. Martin Löwenstein berichtete vom frisch renovierten Kleinen Michel. Er hat eigentlich vier Gemeinden: die französische, die philippinische, die „11:30 Uhr – Gemeinde“ und die Sonntagabendgemeinde. Die traditionellem Strukturen beschreiben die pastorale Wirklichkeit nur noch begrenzt, die Gremien sind nur noch teilweise überhaupt zu bestücken. Wichtig sei der vor der Haustür liegende U-Bahnhof, da die Gottesdienstteilnehmer von weit her anreisen (müssen). Zentral für Hamburg ist die Frage der Integration von Migranten bzw. deren Nachkommen. Die neue Hafen City stellt eine besondere Herausforderung dar, die Martin Löwenstein nur andeuten konnte.

Peter Fritzer SJ berichtete aus Innsbruck. Dort haben die Jesuiten eine Rektoratskirche und lange Traditionen, die auch heute noch pastoral fruchtbar gemacht werden können. Die Verbindung zur Theologischen Fakultät  ist hervorragend, es gibt viele Ehrenamtliche und gut besuchte Messen. Am traditionsreichen Tiroler Herz Jesu Gelöbnis wird aber der sich anbahnende Bruch mit der Moderne sichtbar: Wie kann diese lange Zeit tief verankerte Tradition gut weitergeführt werden? Wo und wenn ja wie,  kann man die Herz Jesus Frömmigkeit „updaten“?

Stockholm boomt! Dominik Terstriep SJ berichtete von St. Eugenia und der ältesten Gemeinde Skandinaviens. Derzeit gebe es 9223 eingetragene Gemeindemitglieder, über 2000 Sympatisanten, aber die „Dunkelziffer“ inoffiziellen Freunden sei groß und in der Tendenz steigend! Er nannte drei Schwerpunkte der Arbeit vor Ort: Die neue Armut – seit einiger Zeit gibt es auch in Schweden Bettler im Straßenbild, im sozialen Wohlfahrtsstaat Schweden ein Novum, mit dem man erst Umgehen lernen muss. Es gab sogar Unruhen, wie man es eher von französischen Vorstädten kennt. Des weiteren werde eben eine GCL aufgebaut und es stellt sich die Frage nach moderne Kommunikation. „Die Informationen müssen direkt zu den Leuten hin!“, so Dominik Terstriep SJ. Plakate oder Homepage reichen nicht (mehr).

In Luzern haben die Jesuiten eine der schönsten Barockkirchen des Landes. Allerdings ist Hansruedi Kleiber SJ weitgehend auf sich allein gestellt, wenn es darum geht diese Kirche zu „bespielen“. Der krasse Priestermangel zwingt die Verantwortlichen vor Ort zu immer mehr und größeren Fusionen. Auch gebe es ein strukturelles Schisma: Zum einen die traditionell demokratischen Strukturen des Landes, auf der anderen Seite die binnenkirchlichen Strukturen. Der Hiatus werde besonders bei finanziellen Fragen bemerkbar. In der Schweiz haben seit Langem die Ortsgemeinden die Kontrolle über das Geld! Auch gäbe es in der Schweiz eine starke Polarisation in progressiv-liberal einerseits und konservativ andererseits. Die Kirchenmusik nehme einen hohen Stellenwert ein. Was fehlt sei eine echte „Gemeinde“: Es sind eher „Gottesdienstbesucher“, Liturgiekonsumenten, Touristen und vorwiegend Ältere, die das Kirchenschiff füllen. „Wie kann eine Gemeinde ohne Gemeinde aussehen?“, fragt Hansruedi Kleiber SJ.

Aus Frankfurt berichteten Claus Recktenwald SJ und der neue Pfarrer Bernd Günther SJ, der freilich noch nicht viel sagen konnte. Einen hohen Stellenwert habe die Familienpastoral – es gibt viele Taufen. In den letzten Monaten sei natürlich der Ortsbischof, Tebartz-van Elst, Thema Nr. 1 gewesen.

Fritz Sperringer SJ berichtete aus Wien. Er kann aus finanziellen Töpfen schöpfen, von denen die Diasporaseelsorger nicht einmal träumen können. Aber auch in Wien sucht man Anschluss an die Moderne, etwa durch moderne Kunst, die u.a. sein Vorgänger Gustav Schörghofer SJ vorangetrieben hat. Die eingeschlagenen Wege sollen auch weiter verfolgt werden.

In Köln setzt man ebenso weiter auf die beiden Profile Kunst und (moderne) Musik. Werner Holter SJ freut sich an diesem „scharfen“ Profil, fragt aber an, ob die Kunst nicht hier und da zum Gottesersatz wird: „Sind wir ein Konzerthaus? Sind wir eine Kunsthalle? Was macht Gemeinde aus?“ Ein neues, vermittelndes Standbein wird derzeit in ignatianischen Impulsen gesehen.

Stefan Leblang SJ berichtete aus Mannheim. Er empfindet die Gottesdienstlandschaft als zerstückelt. Weder die Jesuitenkirche mit dem legendären 11:30 Gottesdienst noch die Marktkirche St. Sebastian entwickeln sich bislang als wirkliche Cityseelsorgezentren. Aber vielleicht kann das noch werden. Es wird spannend sein, wo sich die Jesuiten vor Ort letztlich positionieren werden.

Karl Kern SJ ist im schweren „Tanker St. Michael München“ immer noch am Bauen. Man komme aber gut voran und die Zusammenarbeit mit der Diözese sei gut. In die (immer noch) gut funktionierenden volkskirchlichen Angebote streut Karl Kern neue Angebote, etwa einen Gottesdienst für Geschiedene und Alleinerziehende, eine „Liedernacht“ oder „Orgel für Kinder“. Ein neuer Kreis soll gezielt junge Erwachsene erreichen.

Aus Prag berichtete Ladislav Nosek SJ. In Tschechien gäbe es traditionell einen starken Säkularismus, der seit Jahren die Diskussionen um die Rückgabe kirchlicher Güter prägt. Die Mehrheit der Gesellschaft steht den Forderungen der Kirche sehr reserviert gegenüber. Dessen ungeachtet konnte P. Nosek SJ aber auch von guten Erfahrungen berichten. Mit vier Sonntagsmessen werden ca. 800 Personen erreicht. Auch am Werktag gäbe es drei gut besuchte Messen. 11 Jesuiten arbeiten mit, es gibt Chöre, Gebetsgruppen, Räume! Man unterhält ein kleines Studentenwohnheim. Es existiert auch eine tschechische Version des Migrantenproblems – es gibt viele Ukrainer und Slowaken in Prag!

150 km westlich liegt Nürnberg, wo P. Ansgar Wiedenhaus SJ zusammen mit dem Pastoralreferenten Jürgen Kaufmann die "offene Kirche St. Klara" betreibt. Eine gute Trauerarbeit und Integration von Pop- und Folkmusik in die kirchliche Verkündigung sind nur zwei erfolgreiche Versuche moderner Glaubensverkündigung. V.a die Vernetzung mit prekären Milieus liegt Ansgar Wiedenhaus SJ am Herzen. Kontakte zur Drogenberatung MUDRA sind schon lange geknüpft. Ein neues Format – ein Gottesdienst für Vergessene – hat noch Anlaufschwierigkeiten.  „Wie kommen wir an Arme und Ärmere ran? Wie kann Kirche am Bahnhof aussehen?“ fragt P. Wiedenhaus SJ.

Der letzte Standort war St. Canisius in Berlin. Die neue Kirche sei ein Anziehungspunkt für Architekturstudenten und auf viele Weisen ein Brückenschlag in die moderne Gesellschaft hinein, so Joachim Gimbler SJ. Eine der Architekten der von gut 10 Jahren neu errichteten Kirche erklärte den Jesuiten den Raum und seine Baugeschichte. P. Gimbler SJ öffnete sie gewaltigen Tore seiner Kirche durch das viele Brautpaare ein- und ausziehen. Erst jetzt zeigt sich wirklich die Grundstruktur des Areals: Der Besucher kommt auf einem Kreuzlängsbalken in die Kirche – der Altar ist da, wo der Kopf des Gekreuzigten wäre! Wichtig ist Joachim Gimbler SJ der Familiengottesdienst mit den Kindern, sowie Taufen. Gemeinsam mit Frau Paula von Loe, der Gemeindereferentin, bildet die Arbeit mit jungen Familien seinen Schwerpunkt. Am Sonntag helfen die Mitbrüder bei den Messen – Teamarbeit ist dem Pfarrer wichtig. Georg Maria Roers SJ versucht es auf dem Gebiet der Kunst, Hermann Breulmann auf dem Gebiet der Politik.

Dieser hielt ein inspirierendes Statement. Einige seiner Stichwörter: „Schauen Sie genau hin!“ sagte einmal Max Scheler zu Romano Guardini über Berlin. Hermann Breulmann konstatiert eine „Rückkehr der Städte“. Jede Stadt habe einen „Mythos“ den man nutzen sollte, egal ob es sich um die „Göttinger Sieben“ oder das „Brandenburger Tor“ der Mauerstadt handle. In den Cities gibt es wichtige Minoritäten die nicht übersehen werden dürften. Als Anregung gab er den Zuhörern drei Punkte mit: Inkarnation: der zunehmend virtuellen Präsenz gilt es „physische Anwesenheit“ entgegen zu stellen. „Wir essen Brot, aber wir leben vom Glanz“ (Hilde Domin) – was könnte das in diesem Kontext bedeuten? Schließlich Gnade: In der Stadt, wo alles seinen Eintritt kostet ist die Eucharistie aus gutem Grund umsonst.

In einer sich anschließenden Diskussion ging es u.a. um die Frage: Sollen wir die katholischen „Extras“ wie Sakramentalien ausnützen oder führt das vom „Wesentlichen“ weg? Einerseits gibt es ein Bedürfnis nach Wohnungssegnungen, eine Ansprechbarkeit für Blasiussegen u.ä. Es gibt aber auch die Sorge, dass hier ein kryptischer Schamanismus vom Zentrum (Christus!) eher weg- als hinführt.

Am Donnerstag erhielt der Provinzial das Wort. Er stellte positiv die Vielfalt der Räume, Stile und Einbettungen in den örtlichen Kontext fest und sieht darin eine große Chance. Eine weitere sieht er darin, das ignatianische Profil zu schärfen und stellt auf diesem Gebiet gewaltige Fortschritte gegenüber den letzten Jahren fest. Ignatianische Methoden wie Exerzitien im Alltag und eine Kultur des Dialogs seien oft schon lange selbstverständlich. Die Jesuiten erinnerte er an die „Regula Socii, die unser Vorgehen prägt und prägen sollte“, nämlich dass Jesuiten Teamworker sind bzw. sein sollten! Was das Personal angeht, so kann nicht jeder Jesuit den Anspruch erheben einen Nachfolger zu bekommen, allerdings sei Cityseelsorge wichtig und für viele jüngere Mitbrüder durchaus anziehend.

Das nächste Treffen wird vom 26.-28.1.2016 in Hamburg stattfinden, wo Martin Löwenstein die Cityseelsorger für die Hansestadt wird erwärmen dürfen.