Der Mensch in der Mitte der Schöpfung. Ein Hildegard-Abend mit Sr. Maura aus der Abtei St.Hildegard

Gelungene Premiere des neuen Teams Citypastoral

 

 

Daran hat die Citypastoral schon lange gearbeitet - dieses Jahr ist dem neuen Team der Citypastoral endlich gelungen eine Hildegard-Schwester ausgerechnet am eigentlich unabkömmlichen Festtag dieser großen Heiligen nach Göttingen zu holen. Mechthild José-Thumbeck hatte noch die ersten Fäden gesponnen, die das Team jetzt aufgegriffen hat.

Der Abend begann mit einem feierlichen Gottesdienst zu Ehren der Tagesheiligen, den P. Theo Schneider zelebrierte. Er stellte in einigen zentralen Zügen schon die Persönlichkeit dieser Frau vor, auf die dann die Referentin, Frau Dr. phil. Maura Zátonyi, Benediktinerin der Abtei St.Hildegard/Eibingen, bei ihrem Vortrag in den Räumlichkeiten von ANCORA aufbauen konnte. Die heilige Hildegard fasziniert auch 800 Jahre nach ihrem Tod noch viele Menschen, so dass der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt war.

Regina Möhring begrüßte die gekommenen Gäste. Es fiel dabei auf: Noch mehr als sonst bei kirchlichen Veranstaltungen dominierten Frauen.

Sr. Maura sprach eine Dreiviertelstunde. In kurzen Zitaten zu Beginn brachte sie die Aktualität der Heiligen schnell zu Tage. Sie nannte als Informationsquelle für ihren Vortrag drei Werke der heiligen Hildegard: Das berühmte Scivias, das Buch der Lebensverdienste und das Buch der Werke Gottes. Auf Nachfrage am Schluss verkündete Sr. Maura, das jetzt beim Beuroner Kunstverlag die Gesamtausgabe der Werke erhältlich ist - sogar zu einem erschwinglichem Preis!

In einem ersten Teil stellte die Referentin Hildegard als Kirchenlehrerin vor. Zusammen mit Albert dem Großen ist sie übrigens die einzige Deutsche, die es zu dieser Ehre gebracht hat. Sr. Maura gehörte zum Team, das zusammen mit Prof. Rainer Bernd SJ in Frankfurt an der Positio geschrieben hat - der Informationsgrundlage für die Erhebung zur Kirchenlehrerin. Dabei mussten sie auf Geheiß des damaligen Papst Benedikts ungewöhnlich schnell arbeiten. Der bald erfolgende Rücktritt machte dann klar, warum Benedikt XVI ein so ungewöhnlich schnelles Tempo vorgegeben hatte. Am 7.10.2012, 50 Jahre nach Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils, war es dann auf dem Petersplatz soweit!

Warum aber dauerte es 800 Jahre bis zu dieser Ernennung? Sr. Maura tröstete die kopfschüttelnde Zuhörerschaft indem sie Heilige nannte, bei denen dieser Prozess sogar bis zu 1500 Jahre gedauert hat! Freilich handelt es sich bei KirchenlehrerIn um eine vergleichsweise  junge Kategorie, die erst im 18. Jahrhundert überhaupt entstanden war. Kriterium für eine solche Ernennung sind: 1. Der oder die Erwählte muss ein hervorragender Lehrer gewesen sein, 2. ein dazu passendes heiligmäßiges Leben vorweisen können und 3. von einem Papst oder Konzil explizit dazu ernannt werden. KirchenlehrerInnen müssen es schaffen, für ihre Zeit das Alte neu sagen zu können. Dabei gilt es stets die ganze Tradition der Kirche in den Blick zu nehmen, nicht nur einen Ausschnitt zu verabsolutieren, wie dies - nach Sr. Maura, mit einem kleinen Seitenwink - die selbsterklärten Traditionalisten tun.

In einem zweiten Hauptteil stellte die Referentin Hildegards Lehre über den Menschen inmitten der Schöpfung dar. Dabei wird der Mensch seiner Mitte erst dann gewahr, wenn er Gott den Platz in der Mitte einräumt. Gott in der Mitte, das bedeutet dreierlei:

1. Gottes Liebe zum Menschen

Gott schuf den Menschen - so Hildegard mit Gen 1,26 - nach seinem Ebenbilde. Dabei vertrat die Heilige eine spektakuläre Sicht: Demnach habe nämlich Gott schon von Anfang an, also noch vor dem Sündenfall, aus Liebe die Menschwerdung in Jesus Christus beschlossen.

2. Gottes Liebe zur Welt

Hildegard sprach nicht, wie viele Philosophen es auch heute noch, von der Creatio Ex Nihilo, sondern von der Creatio Ex Amore - der Schöpfung aus Liebe! Diese Liebe zum Menschen geht sogar soweit, dass Gott den Menschen in seine Freiheit entlässt, so dass er sogar gegen IHN rebellieren kann. Der Hauptfehler des Menschen besteht in der Gottvergessenheit. Sr. Maura gebrauchte ein Bild von Hildegard: Eine Eidechse auf einer Wolke, Sinnbild für Flüchtigkeit, Beziehungslosigkeit, aber auch Erstarrung.

3. Gottes Liebe zu sich selbst

Schließlich zeigt sich die Liebe Gottes auch in der Beziehung der Dreifaltigkeit zu sich selbst bzw. untereinander. Der Gipfelsatz aus dem 1. Johannesbrief, Gott ist die Liebe, hat hier seine biblische Basis.

Der Mensch findet seinen Platz nur dann und insoweit, wie er sich selbst aus der Mitte herausnimmt und Gott diesen Platz zugesteht. Dieser Gott wird dann freilich den Menschen in die (also SEINE!) Mitte hineinziehen. Von dort her und daher entstehen dann auch menschliche Gerechtigkeit und ein gelingendes Dasein, und zwar für alle Menschen.

Im Anschluss an den Vortrag gab es einige Fragen. Eine bezog sich auf die Rationalitas der Heiligen. Damit ist freilich gerade nicht Kopfarbeit gemeint, sondern Teilhabe an der Liebe Gottes. Nicht der scharfsinnige Begriff sei das Ziel der Kirchenlehrerin gewesen, sondern das treffende Bild, das freilich facettenreich sei und sich eben nicht "auf den Begriff bringen lässt."

In einer weiteren Nachfrage präzisierte Sr. Maura den Begriff Vision bei Hildegard. Damit sei - anders wie später etwa bei Gertrud von Helfta und den noch folgenden MystikerInnen - keine übernatürlichen Schauungen gemeint. Vielmehr müsse man darunter eher eine literarische Gattung verstehen, ein Genre, wie es schon Augustinus vorgab. Vision sei - so Hildegard - Sinnerschließung mit der Heiligen Schrift.

Herzlicher Applaus beendete den Abend. Altdechant Norbert Hübner sprach sicher vielen aus den Herzen, wenn er mit Blick auf Sr. Maura und ihren Vortrag von einer "quicklebendigen Nonne" sprach. Regina Möhring überreichte als Präsent einen Pflanzentopf mit frischer Minze aus Jerusalem! Die Gäste waren nun zu einem Schoppen Hildegardwein aus der Abtei St.Hildegard/Eibingen eingeladen. Das Team hatte dazu dekorierte Tische bereitgestellt. Zum Wein gab es ebenfalls aus der Abtei erworbenes Brot und Olivenöl.

Fazit: Eine gelungene Premiere des neuen Teams der Citypastoral!