"Hier stehe ich und kann nicht anders, Gott helfe mir!"

Luitgardis Parasie berichtet von ihren Erfahrungen mit Gewissensfragen im Alltag

"Hier stehe ich und kann nicht anders, Gott helfe mir", so soll Luther vor dem Reichstag in Worms gesagt haben. Bei allen Gründen, die für die Gegenseite sprächen, war es dem zum Reformator werdenden Mönch aus Wittenberg nicht möglich beizugeben - das Gewissen hätte es ihm nicht erlaubt. Luitgardis Parasie aus Langenholtensen redete in der zweiten Fastenpredigt im Reformationsjahr unserer Gemeinde ins Gewissen. Marcus Grabisch fasst die Predigt zusammen.

In der zweiten Fastenpredigt am dritten Fastensonntag drehte sich alles um das Gewissen. Als Predigerin war die evangelische Pfarrerin Luitgardis Parasie aus Langenholtensen in die Michaelskirche Göttingen gekommen. Sie beantwortet in der Radiosendung „Darf ich das? – Gewissensfragen im Alltag“ auf NDR1 Niedersachsen Dienstag um 10.45 Uhr Gewissensfragen.

Am Anfang ihrer Predigt wurde ein Hörbeispiel aus dieser Radiosendung eingespielt. Eine Anruferin erklärte, dass ihr Sohn an der Käsetheke geklaut habe. Ihre Frage: „Was soll ich tun? Einfach nichts? Oder soll der Sohn nachträglich den Käse bezahlen? Aber was würden die Leute sagen?“ Frau Parasie gab die Frage an die Zuhörer in der Citykirche weiter: „Was würden Sie sagen? In der Radiosendung gibt es für die Antwort genau 2 ½ Minuten Zeit.“

Bevor Luitgardis Parasie ihre Antwort auf die Frage der Anruferin verriet, ging sie zunächst auf den Begriff Gewissen ein. Was ist Gewissen überhaupt? Der Maßstab für Werte ist das Gewissen, sagte Pfarrerin Parasie. Luther berief sich 1521 vor dem Wormser Reichstag auf das Gewissen, auf sein Gewissen. Er sagte, dass nur Gott das Gewissen frei machen kann. Die Pfarrerin zitierte Luther mit den Worten: „Mein Gewissen ist gebunden an Gottes Wort“. Und deshalb sagte Luther vor dem Reichstag: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“. Luther vertritt die für das 16. Jahrhundert ungewöhnliche These, dass das Gewissen des Einzelnen über der kirchlichen Lehre steht.

Das Gewissen, führte Luitgardis Parasie weiter aus, hilft uns den Willen Gottes zu erkennen und das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Das Gewissen ist aber vielen Einflüssen ausgesetzt, sagte Parasie. Es braucht Hilfe. So wie die Anruferin, deren Sohn an der Käsetheke geklaut hatte. Erneut wurde aus der Radiosendung eine Tonsequenz eingespielt. Diesmal die Antwort von Luitgardis Parasie. Darin sagt sie, dass die Frage nicht lauten müsste „Was werden die Leute sagen?“ Sondern: „Was wird der Sohn sagen?“ Der Sohn muss spüren, dass die Mutter nicht nur leere Worte macht, sondern, dass auch Konsequenzen folgen.

Als Beispiel brachte die Pfarrerin eine Äußerung eines jungen Mannes. Der Mann bemängelt, dass das Nein der Eltern ein wackeliges Nein war. Sobald der junge Mann als Kind auch nur die kleinste Gegenwehr gegen dieses Nein zeigte, kippte das Nein der Eltern in ein Ja. Im Nachhinein wünschte sich der Mann mehr Konsequenz von seinen Eltern. Zu dieser Konsequenz riet Parasie auch der Anruferin. Sie sollte ihren Sohn den Käse bezahlen lassen. Denn ein gutes Gewissen ist wichtiger als das, was die Leute sagen und ist wichtiger als zu vertuschen.

Das Gewissen ist manchmal unangenehm und stellt uns ein Stoppschild auf, hielt die Pfarrerin fest. Außerdem sagte sie, dass das Gewissen aber auch oft verwirrt wird. Uns wird ein schlechtes Gewissen gemacht. Obwohl wir nichts Falsches gemacht haben, wird uns eingeredet, ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Das Gewissen wird manipuliert.

Als Beispiel dafür erzählte Luitgardis Parasie von einer Frau, die jeden Tag ihre Mutter im Altenheim besucht. Trotzdem wird ihr von der Mutter das Gefühl gegeben, sich nicht genügend zu kümmern. „Da gilt es Grenzen zu ziehen und sich zu schützen“ rät die evangelische Pfarrerin.

Weiter machte Parasie auf eine Gewissensentscheidung aufmerksam, die in der Bibel überliefert ist. Petrus und Johannes waren auf dem Weg zum Tempel von Jerusalem, um zu beten. Dort heilte Petrus im Namen Jesu einen gelähmten Mann. Den Religionsführern missfiel das. Deswegen verhafteten sie Petrus und Johannes. „Doch Petrus und Johannes waren dadurch nicht eingeschüchtert“ bemerkt Luitgardis Parasie. Auch erhielten beide ein Verbot von Jesus zu erzählen (Vgl. Apostelgeschichte Kapitel 3 und 4). „Doch Petrus und Johannes antworteten ihnen [den Religionsführern]: Ob es vor Gott recht ist, mehr auf euch zu hören, als auf Gott, das entscheidet selbst. Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben.“ (Apostelgeschichte 4,19 f.) Petrus und Johannes hatten eine "Power", die beide beflügelte, erklärte die Pfarrerin die Äußerung der beiden Apostel. Ebenso war auch Luther beflügelt, so dass er nicht anders konnte. Das Gewissen ruft auf, das Leben Gott hinzugeben oder das Leben für Gott hinzugeben.

So wie die Menschen, die in der katholischen Kirche als Heilige verehrt werden, sagte Parasie. Zum Schluss ihrer Fastenpredigt ging Luitgardis Parasie noch auf einen „protestantischen Heiligen“ ein, wie sie selbst sagte. Pfarrer André Trocmé wurde 1934 in das Dorf Le Chambon-sur-Lignon im Département Haute-Loire in Südostfrankreich versetzt. 1942 wurde das Dorf von den Nazis besetzt. André Trocmé und seine Frau Magda gründeten ungewollt eine Widerstandsbewegung. Pfarrer Trocmé erzählte den Menschen seiner Gemeinde immer wieder biblische Geschichten. Auch die Herbergssuche von Maria und Josef. Er stellte den Menschen die Frage, ob sie gute oder schlechte Wirte sei wollen. Die Menschen nahmen viele Juden auf, so dass das Dorf schnell zu einem Zufluchtsort für viele Juden wurde. Über 3000 jüdische Kinder konnten durch die Initiative von Trocmé gerettet werden. Dieser Widerstand war aber auch gefährlich. Ein Neffe von Trocmé wurde in einem KZ umgebracht. Trotzdem sind das Ehepaar Trocmé und die Dorfbewohner mit ihnen, dem Gewissen gefolgt, schloss Luitgardis Parasie ihre Predigt.

Zum Schluss des 11.30 Uhr Gottesdienstes, in den die Fastenpredigt eingebunden war, klatschten alle begeistert in der Citykirche, die bis auf den letzten Platz gefüllt war. Besonders schön fand ich, dass auch Gemeindemitglieder aus der evangelischen Pfarrei Langenholtensen angereist waren, um ihre Pfarrerin zu hören. Es war eine gute Gelegenheit zu sehen, dass evangelische und katholische Schwestern und Brüder gemeinsam den Glauben vertiefen können. Solche verbindenden Veranstaltungen sollten auch nach dem Jahr des Reformationsjubiläums weiter angeboten werden.

Marcus Grabisch