Judith schlägt dem Belagerer Holfernes den Kopf ab: Tyrannenmord oder Geburt einer Hydra?

Heiligt der Zweck (alle) Mittel?

Auch in säkularen Zeiten gibt es in den Theatern immer wieder Stücke mit religiös-christlich-biblischen Themen. So wurde vom Deutschen Theater in Göttingen vor einigen Jahren mit großem Erfolg der Jedermann in St. Jacobi aufgeführt. Am Samstag, den 25. Februar hatte die aktuelle Inszenierung von Friedrich Hebbels Judith ihre Premiere. Die Vorstellung regt zu religiösen und ethischen Fragen an. P. Manfred Hösl SJ hat sich die Premiere angeschaut und sich seine Gedanken gemacht...

Das Stück hat es schon in sich. Friedrich Hebbel (1813 - 1863) hat den biblischen Stoff zu einem Drama in fünf Akten verarbeitet, das am vergangenen Samstag in der aktuellen Bearbeitung im Deutschen Theater Premiere hatte. Das Stück geht von der biblischen Voralge aus, setzt aber auch andere Akzente, es ist modern und anspruchsvoll.Eine erste Info über das Thema und ihren Autor erhält man in den entsprechenden WIKIPEDIA-Artikeln und natürlich im biblischen Buch Judit.

In seiner Ankündigung schreibt das DT:

Da stehen sich zwei Gegenüber, die an Stärke und Exzentrik nicht zu überbieten sind: Holofernes, Feldherr Nebukadnezars, der ewige Sieger sowohl auf dem Schlachtfeld als auch in der Liebe. Und Judith, die schöne jungfräuliche Witwe. Er ist gekommen, um die Juden zu unterwerfen. Sie ist bereit, sich ihm hinzugeben, um ihr Volk zu retten. Beide befinden sich in der festen Gewissheit, dass sie in Übereinstimmung mit ihrer jeweiligen Religion handeln. Nach vollzogener Liebesnacht schlägt Judith Holofernes den Kopf ab. Das jüdische Volk feiert sie dafür als Heldin. Sie aber erkennt, dass sie nicht aus politischen, sondern aus höchst egoistischen Gründen getötet hat. Nach den Gesetzen ihrer Religion ist sie zur Mörderin geworden. Hebbel leuchtet die Abgründe zwischen Religion und dem Unbewussten aus. Judiths Konflikt entsteht in dem Augenblick, in dem sie der Anziehung des Holofernes erliegt und sich dem Glück der Liebesnacht hingibt. Sie handelt nicht mehr in ›höherem Auftrag‹, sondern tötet Holofernes in dem Moment, in dem sie realisiert, dass sie ihren Gott durch einen höchst attraktiven Übermenschen ersetzt hat. Holofernes ist letztlich Opfer ihres Triebes geworden.

Eine (!) der vielen möglichen Fragen, die das Stück aufwirft, könnte sein: Darf man beim Richtigen (falls es das Richtige ist!) mit falschen Motiven drangehen?

So entschließt sich Judith zum Tyrannenmord an Holofernes, dem Feldherrn Nebukadnezzars, der die von Juden bewohnte Stadt Bethulien belagert. Ihre Magd Mizra scheint ihr abzuraten, aber Judit ist überzeugt: Tyrannemord ist, zumindest in diesem Fall, gerechtfertigt. Beten alleine reicht nicht. Judith geht also ins Lager des Holofernes und verbringt die Nacht mit Holofernes - anders kommt sie nicht an ihn ran! Die Unkeuschheit ist somit der Preis, den sie bezahlen muss, um die Möglichkeit zu haben Holofernes zu enthaupten. Ist das legitim? Heiligt der Zweck die Mittel?

Nun hat aber Judith auch noch Lust an und in der Lust. Sie genießt die Nacht, vielleicht nach dem Motto: Ob ich jetzt mit oder ohne Lust mich hingebe, wird ja wohl egal sein und ändert zudem nichts an der Sache an sich. Dann aber hat sie doch ein schlechtes Gewissen, weil sie das falsche Motiv bei sich sieht. Offenbar meint sie, sie hätte innerlich angewiedert die Nacht mit ihm verbringen müssen, ehe sie ihm den Kopf abschlug. Durfte sie Lust haben?

Falls ich eine pazifistische Ethik, wie z.B. die vormalige Landesbischöfin Frau Käsmann vertrete ("Es gibt nichts Gutes in Afghanistan") komm ich natürlich gar nicht in solche Abschätzungssituationen. Aber was ist dann mein Beitrag an der Gewalt-Lösung? (Nur) beten? Scheibe ich die unadingbare Drecksarbeit dann womöglich anderen zu, diese womöglich beckmesserisch beargwöhnend, selber aber die Hände in Unschuld tauchend?

Und wenn ich die berühmte rote Linie überquere, den Tyrannenmord z.B. grundsätzlich bejahe, gibt es dann weitere rote Linien, oder ist dann alles erlaubt? Wenn das Kind dann schon mal in den Brunnen gefallen ist: Darf man u. U. töten oder gar Grausamkeit genießen?...

Solche und ähnliche, manchmal Schwindel  erregende Fragen können sich beim Betrachten der Vorstellung auftun. Das Stück dauert gut eineinhalb Stunden und kostet dem Betrachter durchaus Kraft. Die Leistung der Schauspieler ist beeindruckend, was auch mit anhaltenden Applaus am Schluss honoriert wurde.

Die vorherige Lektüre des biblischen Stoffes scheint mir angeraten, weil Friedrich Hebbel mit seinem Drama doch erheblich von der biblsichen Vorlage abweicht und die Inszenierung des DT natürlich ihrerseits eigene Akzente setzt, wie oben schon im Ausschreibungstext angedeutet ist.

Die weiteren Aufführungstermine erfährt man wie immer aus der Tagespresse oder gleich hier. Eine Besprechung findet am im Göttinger Tageblatt.