Luther und Ignatius von Loyola

Beide strebten eine Verinnerlichung des Glaubens an

Am kommenden Sonntag beginnen in Sankt Michael die Fastenpredigten 2017, die das Reformationsjubiläum zum Thema haben. Prof. Joachim Ringleben von der Göttinger Theologischen Fakultät und ehemaliger Abt von Bursfelde eröffnet den Reigen. Der Lutherexperte wird über die "Freiheit eines Christenmenschen" sprechen. -

Wer war Luther? Und in einer Jesuitengemeinde besonders wichtig: Was unterscheidet ihn von seinem Zeitgenossen Ignatius von Loyola? Michael Sievenich SJ, Pastoraltheologieprofessor aus Mainz und Frankfurt stellt in einem Interview Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden "Reformer" vor.

Martin Luther, der kühne, aufrechte Reformator. Und die Jesuiten als Kämpfer der Gegenreformation als treue Diener des Papstes: klug, intellektuell, wenn es sein muss auch verschlagen. So ließ sich über Jahrhunderte trefflich der Gegensatz zweier Zeitgenossen konstruieren. Doch stimmt der überhaupt? Haben nicht Martin Luther und Ignatius von Loyola viel mehr gemeinsam als sie trennt? Und fanden sie nicht einen sehr ähnlichen Ansatz für ein wichtiges Problem ihrer Zeit? Prof. Michael Sievernich SJ hat am 25.1. in St. Michael einen Vortrag über Luther und Ignatius gehalten. Interview mit dem Professor für Pastoraltheologie über die Unterschiede und das Verbindende zwischen den beiden Reformatoren.

Herr Prof. Sievernich, was wusste eigentlich Luther von Ignatius und umgekehrt?

Sie waren Zeitgenossen, der ältere Luther (1483-1546) und der jüngere Ignatius (1491-1556). Sie wussten voneinander, das ist eindeutig, zumindest auf der Seite von Ignatius. Das Stichwort „Lutheraner“ kommt schon in der Gründungsurkunde der Jesuiten vor. Ignatius hatte ein sehr waches Bewusstsein von der Reformation, ihren Beweggründen und Themen. Dennoch haben Luther und Ignatius nie Bezug aufeinander genommen. In den Werken und Briefen von Ignatius findet man keine Hinweise auf die Person Luther, auch Luther hat sich nie über Ignatius geäußert. Vielleicht ist das aber auch typisch für die Trennung, die in der Reformation abgelaufen ist: man nimmt sich gegenseitig nicht mehr so sehr wahr.  

Heute wird Luther als der Reformator bezeichnet, Ignatius als der Gegenreformator, ist das eigentlich eine korrekte Einordnung?

Ich würde sagen: „Gegenreformation“ ist ein polemisches Konzept, um die katholische Reaktion auf die Reformation zu bezeichnen. Das ist aber heute historisch nicht mehr tauglich. Stattdessen redet man von katholischer Reform oder frühem neuzeitlichem Katholizismus, also man lässt die polemischen Aspekte weg und anerkennt, dass beide – Luther wie Ignatius – Reformer waren. Es gab ja auch noch andere, Melanchthon, Calvin usw. Luther als den einen „Reformator“ darzustellen, ist schon recht speziell. Denn alle Reformer hatten gemeinsam, dass Sie nach neuen Antworten suchten auf die Krise der Welt und die Krise der Kirche zu ihrer Zeit.

Liegt es an Ignatius, dass ausgerechnet die Jesuiten zu den „Vorkämpfern der Gegenreformation“ geworden sind?“

Die Jesuiten sind Vorkämpfer für die „Verbreitung des Glaubens“ und für den Dienst in der Kirche, hatten und haben also eine positive Stoßrichtung.  Sie waren Vorkämpfer für kirchliche Reformen. Daraus ergibt sich das Interesse an der Mission, aber auch die Bekämpfung häretischer Strömungen in der Kirche. Leider führten die konfessionellen Auseinandersetzungen zu jahrhundertelangem Zwist. Heute spricht der Historiker Schilling  von den drei Reformatoren Luther, Calvin und Loyola.

Wo liegen die Gemeinsamkeiten, wo die Unterschiede zwischen Luther und Ignatius?

Lange wurden vor allem die Unterschiede zwischen den beiden betont, und die liegen in ihrem Vorgehen: Luther wandte sich von der Papstkirche ab, auch sehr polemisch, wohingegen Ignatius sagte: Reform nicht gegen den Papst, sondern nur mit dem Papst. Daraus folgte sogar ein eigenes Gelübde, das die Jesuiten bis heute auf den jeweils regierenden Papst ablegen hinischtlich seiner Sendungen (circa missiones). Ignatius führte dieses Gelübde ganz bewusst ein, trotz der negativen Beispiele einiger Renaissancepäpste. Ihr Vorgehen trennt die beiden sicherlich, doch einen wesentlichen Punkt haben sie sehr ähnlich gesehen. Luther wie Ignatius strebten eine Verinnerlichung des Glaubens an – also eine direkte Glaubensbeziehung der Menschen zu Gott, bei der es weniger auf die äußerlichen Formen ankam.  Luther kam mehr von der Buß-Problematik her, berühmt sind seine 95 Thesen 1517, auch wenn der Hammerschlag eher ein Mythos. Auch Ignatius hat diesen Prozess der inneren Gottesbeziehung durchgemacht. Die berühmten „Exerzitien“, die Geistlichen Übungen, beruhen auf seinen ganz persönlichen spirituellen Erfahrungen. Verinnerlichung des Glaubens, das war das Programm von beiden:  Wie finde ich einen gnädigen Gott, hat Luther sich gefragt. Wie kann ich den Willen Gottes suchen und finden,  das war die Frage von Ignatius. Insofern sind die beiden spirituell relativ nah beieinander. Daraus können wir heute lernen, dass wir uns bemühen, die Konvergenz zu sehen zwischen den Konfessionen. Das gilt für die katholische und die evangelischen Kirche aber auch für eine Konvergenz mit der Orthodoxie. Das ist auch der ökumenische Weg, den Papst Franziskus geht, wie er zum Beispiel bei seinem Besuch in Lund beim Lutherischen Weltbund betont hat.

Was bedeutet die „Entdeckung“ der direkten Gottesbeziehung durch Luther und Ignatius für die weitere Entwicklung der christlichen Spiritualität?

Im Lauf der Geschichte fanden Männer und Frauen, Orden und Bewegungen immer wieder zu einer Vertiefung und Verinnerlichung des Glaubens, wenn er in die Veräußerlichung abzudriften drohte. Am Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit war die Suche nach Gott, die mystische Bewegung besonders intensiv.  Daran hatten Luther und Loyola auf ihre Weise teil. Seitdem ist die Gottunmittelbarkeit der Person Thema und Aufgabe bis heute geblieben. Hier sollten die Kirchen stärker ihre spirituellen Schatzkammern öffnen, auch für die säkularen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen.

Lange Zeit hat man aber eher die Unterschiede betont, seit wann sieht man eher das Gemeinsame?

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Konfessionsbildung auch kriegerisch geführt wurde, denken wir an den Dreißigjährigen Krieg“, wo man Machpositionen religiös abzusichern versuchte. Diese blutige Zeit ist Gott sei Dank vorbei, aber polemisch lief es eigentlich weiter bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Auf der einen Seite wurde der Protestantismus zur Staatsreligion, in Preußen etwa. Die Verquickung von preußischer Politik und evangelischer Kirche endete erst mit dem Kaiserreich am Ende des Ersten Weltkriegs. Auf der anderen Seite sah sich die katholische Kirche als die einzig wahre. Insofern standen sich die Konfessionen immer polemisch gegenüber, manchmal sehr grob, dann im 20. Jahrhundert eher versöhnlich. Durchgesetzt hat sich Ökumene aber erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, und das ist erst gut 50 Jahre her.

Hätte es geholfen, wenn Luther und Ignatius einander kennengelernt hätten? Glauben Sie, sie hätten sich gemocht?

Menschlich? Das kann ich nicht sagen. Beide waren sehr ernsthafte Menschen. Sie neigten aber in manchen Dingen auch zu Übertreibungen und zu Überspitzung. Ignatius weniger in Polemik, in der sich Luther sehr hervortat, insbesondere gegenüber dem Papsttum. Das hatte aber theologische Gründe: denn er sah im Papst das Zeichen des Antichristen und damit ein Signal für die Endzeit, wie er auch in den Türken vor Wien solche Zeichen sah. Dagegen war Ignatius eher ein irenisch gestimmt. Typisch für die ignatianische Haltung war das Beispiel eines seiner frühen Gefährten und Mitbegründer der Gesellschaft Jesu, nämlich Peter Faber, der als erster Jesuit nach Deutschland kam und in Köln, Mainz, Worms wirkte. Er versuchte, die friedliche Koexistenz mit den Protestanten zu leben: in den Religionsgesprächen auf dem Reichstag, aber auch dadurch, dass er sich vornahm, für wichtige Personen zu beten: den Papst, den Kaiser, Luther und andere Reformatoren. Ein anderes Mal sagte er: ich bete für die großen Kirchen, ich bete für Moskau, Genf und Wittenberg. Er hat damit auf der spirituellen, der Gebetsebene eine Begegnung versucht, das ist der ignatianische Weg.

Inwiefern sind Luther und Ignatius Produkte ihrer Zeit?

Beide Reformer waren natürlich eingebettet in ihre Zeit mit all ihren Schwierigkeiten und Bewegungen. Darauf muss man schauen und darf nicht nur die Personen allein sehen. Bei Ignatius sieht man das sehr gut an der Missionsbewegung, die ja eine Antwort auf die Entdeckung Amerikas und diese erste Globalisierung ist. Die Missionsbewegung ist auch eine Art der Reform, wenn man bedenkt, wie viele Missionaren plötzlich nach Amerika gingen. Ignatius hat das stark aufgegriffen und Jesuiten nach Indien (Franz Xaver 1540!) und später nach Brasilien geschickt hat. Luther hingegen hat die Mission überhaupt nicht interessiert. Die Lutheraner kamen erst sehr viel später auf die Idee, dass die Kirche eine missionarische Aufgabe hat, weil sie dachten, diese Aufgabe hätten schon die Apostel erledigt.

Wie wird Ignatius heute in der evangelischen Kirche gesehen?

Da gab es lange Zeit mindestens ebenso große Schwierigkeiten wie sie die katholische Kirche mit Luther hatte. Die Jesuiten, bzw. der Weg des Ignatius wurden von evangelischen Theologen lange polemisch beurteilt. Aber es gab immer auch Theologen, die Ignatius in seiner spirituellen Kraft wertschätzten. In der letzten Zeit hat sich da sehr viel getan, wobei ich meine, dass die katholische Kirche mit ihrem Luther-Bild ein bisschen weiter ist als umgekehrt.

In diesem Jahr sprechen Katholiken und Protestanten viel über Ökumene, können Sie sich vorstellen, dass das nachhaltig bleibt, oder nach diesem Jahr wieder einschläft?

Ich hoffe sehr, dass das ein guter Anschub ist für die weitere Arbeit der Ökumene. Der Papst hat viel dafür getan und die deutsche katholische Kirche auch mit Kardinal Kasper und Kardinal Marx. Ich glaube auch, dass es in beiden Kirchen ein klares Bewusstsein dafür gibt, dass Christen in diesen säkularisierten Zeiten eigentlich nur zusammen etwas erreichen können.

Ist Ökumene vor allem ein deutsches Konzept?

Ökumene betrifft die Länder, die es faktisch betrifft. In Deutschland haben wir 1/3 Protestanten und 1/3 Katholiken und 1/3 andere. Das ist natürlich eine ganz andere Situation als in Polen oder in Spanien, Italien, Portugal. Die 2/3 Christen hierzulande haben die Ökumene vor ihrer Haustür.

Was war für Sie persönlich das Erstaunlichste beim Vergleich Luther – Ignatius?

Das Erstaunlichste ist für mich, dass die beiden Herren sich nie kennengelernt haben. Und das ist vielleicht auch traurig. Es hängt vielleicht damit zusammen, dass Ignatius eher international agierte, auf europäischer Ebene, in den großen Städten: Salamanca, Paris, London, Rom, Oberitalien, Jerusalem. Ignatius war ein Großstadtmensch. Luther hingegen ein Kleinstadtmensch, der sich die meiste Zeit seines Lebens in Thüringen, in Wittenberg aufhielt. Er war nur einmal in Rom und dann in Worms auf dem Reichstag. Das ist schon ein großer Unterschied.

Interview: Gerd Henghuber

Quelle: www.jesuiten.org