Marsch für das Leben - Kundgebung und Demonstration im Schatten der Reichstagskuppel in Berlin

Kath. Kirche tendenziell pro Aktion - Ev. Kirche tendenziell eher kritisch

 

 

 

 

 

Bereits zum 12. Mal hat der sogenannte Marsch für das Leben in Berlin stattgefunden. Vergleichbare Aktionen gibt es auch in anderen Ländern. Seit 2008 wird der Marsch von Gegenprotesten begleitet, zu denen in diesem Jahr u.a. auch der Berliner Bürgermeister Müller aufgerufen hatte. Den Veranstaltern geht es um Lebensschutz in umfassenden Sinn: Präimpantationstechnik (PID), Behinderte-Nichtbehinderte, Sterbehilfe und - heute wohl vorrangig - Abtreibung. Cheforganisator ist Martin Lohmann, ein katholischer Journalist, der bei mehreren Zeitungen und im Fernsehen gearbeitet hat.

Trotz zunächst strömenden Regen fanden sich laut Polizeiangaben 6000 Marschierer und Marschiererinnen vor dem Reichstag ein. Die Veranstalter zählten 7500 Teilnehmer - die "richtige" Zählung ist grunsätzlich ein Problem bei Demos: die Veranstalter wollen die Zahlen eher groß sehen, die Gegner versuchen sie klein zu reden!

Auf jeden Fall waren die Teilnehmer überwiegend junge Leute. Wer verkniffene und bierernste ältere, meist männliche Lebensschützer mit abgetriebenen Fören auf abschreckenden Plakaten erwartete, wurde eines Besseren belehrt. Alle Altersstufen unter den Mitmarschierern waren vertreten und trotz des ernsten Anliegens war die Stimmung gut. Hier hat man wohl auch dazu gelernt, wie überhaupt der Tonfall sich zu vergleichbaren Veranstaltungen doch sehr gemäßigt hat. Vom "Babycaust" und "mordenden Müttern" war jedenfalls nicht die Rede - im Gegenteil: Die Redner versuchten kein Öl ins Feuer der Kritiker zu gießen und wägten ihre Wort ab. Die gegendemonstranten freilich - hier scheint mir die offizielle Zahl von 1500 doch stark übertrieben zu sein - hörten dennoch kaum zu, pfiffen oder bliesen in die mitgebrachten, ohrenbetäubenden Vuvuzelas. Die Meinungen scheinen bei beiden Parteien festgezurrt zu sein und ein Dialog wohl nicht möglich.

Übrigens entsprachen auch die Gegendemonstranten nicht den üblichen Klischees: Es waren meist junge und durchaus "bürgerlich" gekleidete (meist) Frauen und (seltener) Männer, z.B. von der Grünen Jugend. Entlang des Marsches skandierten die Gegendemonstarnten immer wieder Pralolen wie "Mittelalter!" oder "Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat!" Auch hier darf man keine homogene Front vermuten, sondern ein breites  Bündnis, das zur Gegendemonstration aufgerufen hatte.

Der Marsch war getragen von meist jüngeren Teilnehmern - und Laien. Erkenntliche Priester und Ordensleute sah man vergleichsweise wenige. Die Organisatioren hielten Schilder bereit, aus denen sich die Mitmarschierer eines wählen und fortan tragen konnten. "Jedes Kind will leben" konnte man da z.B. lesen, oder "Abtreibung ist keine Lösung", usw. Ganz radikale Parolen ("Abtrebung ist Mord!") sah man nicht. Zu den Rednern gehörten neben Initiator Martin Lohmann Politiker, die sich dem Lebensschutz verschrieben haben, Ärzte, aber auch ein Trisomie 21 behindertes Mädchen oder eine Mutter, die sich - nach eigener Abtreibung - heute einer Hilfsorganisation einsamer werdender Mütter verschrieben hat, die v.a. in den neuen Bundesländern versucht Fuß zu fassen, wo durch die liberale DDR-Politik Abtreibung (noch) leichter und gesellschaftsfähiger war als im Westen.

Der Marsch für das Leben wird von der katholischen Kirche stark unterstützt: Papst Franziskus sandte ein Grußwort - das wie alle anderen Grußworte auf der Homepage der Veranstalter einsehbar ist -, der Berliner Erzbischof Koch war anwesend und der sein Regensburger Kollege Voderholzer war mit einer kurzen Rede und bei der ökumenischen Abschlussandacht dabei. Besonders Bischof Koch musste sich im Vorfeld gegen Vereinnahmungen der AfD wehren. So beschränkten sich alle Politiker auf das Anliegen des Tages und stellten Parteipolitisches zurück. Die evangelische Kirche distanziert sich von der Veranstaltung, da sie die Rhetorik für zu kontraproduktiv hält und die Rechte von betroffenen Frauen als zu wenig gesehen betrachtet. Nur die evangelikalen Protestanten - darunter der Vorsitzende der Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb - waren präsent und unterstützen den Marsch personell und ideell.

Nach einer guten Stunde mit Musik und Reden ging es dann los. Es handelt sich um einen Schweigemarsch. Gerade deswegen konnte man die Gegendemonstranten freilich hören, die am Rande des Marsches immer voraus liefen um die dann kommenden Marschierer mit Pfiffen und Slogans zu empfangen. Die mit Nelken, Kreuzen und Schildern bestückten Demonstranten ließen sich dadurch aber dennoch nicht provozieren. Hier hat man sich anscheinend in den vergangenen Jahren ein dickes Fell zugelegt. Der Zug ging vom Platz vor dem Reichstag Richtung Hauptbahnhof und dann in einer Schleife wieder zurück. Am Reichtag wieder angelangt, unter der Inschrift "Dem deutschen Volke" hatte man ein provisorisches Abtreibungsopferdenkmal errichtet, wo man die mitgebrachten Nelken hinlegen konnte. Die abschließende ökumenische Andacht wurde dann doch von den Pfiffen der gegner erheblich gestört.

Mein persönliches Fazit ist u.a., dass Christen sich in Zukunft wohl auf "wechselnde Koalitionen" einstellen müssen, d.h. je nach Anliegen (Abtreibung, Todesstrafe, Flüchtlinge, Sterbehilfe, Entwicklungshilfe, Ethik...) hat man unterschiedliche Verbündete. Die Unterstützer im Anliegen A können die Gegner im Anliegen B sein. Und man wird wohl immer auch Menschen im Schlepptau haben, mit deren Sprache und Radikalität man nicht einverstanden ist. Aber deswegen weg ducken und weg bleiben? Das geht meines Erachtens auch nicht. Christen müssen sich aktiv einmischen und ihren Standpunkt deutlich machen, auch wenn der Wind rauher wird. In vielen Gegenden sind die Christen inzwischen eine kleine Minderheit geworden. Hier gilt es klug vorzugehen, um christliche Positionen einzubringen. Sowohl prinzipieller Fundamentalismus als auch völlig Anpassung an den Zeitgeist müssen vermieden werden. Guter Rat ist also teuer und will erbeten sein. Eines ist freilich in diesen Breiten gegeben: Der demokratische Rechtsstaat ermöglicht die freie Artikulation der Meinung - Gott sei Dank! Man darf ja nicht vergessen: Viele Christen in anderen Ländern haben es nicht nur mit Pfiffen, sondern mit Terror zu tun.

Die Webseite von Radio Vatikan schreibt am Samstag besonders mit Blick auf ein Statement von Bischof Heiner Koch:

Mehr als 7.500 Menschen haben sich nach Angaben der Veranstalter am Samstag am zwölften „Marsch für das Leben“ im Zentrum Berlins beteiligt. Beim Auftakt vor dem Reichstagsgebäude rief der Berliner Erzbischof Heiner Koch zum Einsatz dafür auf, „dass jeder Mensch sein Leben gut entfalten kann, vom ersten Augenblick im Mutterschoß an bis zum letzten Atemzug“. Er wandte sich dagegen festzulegen, „welches Leben ab wann lebenswert ist“. Für Christen gelte: „Wir setzen keine Grenzen, wir errichten keine Mauern des Lebens, nicht an den Grenzen Europas, nicht an den Grenzen der Kulturen und Religionen, nicht an den Grenzen des Alters, der Krankheit, des Behindert-Seins oder des sterbenden Lebens.“ (kna)  

P. Manfred Hösl SJ