Tanta erga dOCUMENTA (13)

Ein subjektiver Streifzug auf der Suche nach dem Religösen durch Kassel

 

 

 

Derzeit findet in Kassel die 13. DOCUMENTA statt, eine der wohl renommiertesten Ausstellungen moderner Kunst. Sie findet seit 1955 alle fünf Jahre statt und dauert genau 100 Tag. Start 2012: 09/06; Ende: 16/09. Chefkuratorin und Hohepriesterin ist Carolyn Christov-Bakargiev. "Sie vertritt einen grundsätzlichen Skeptizismus gegenüber vorgefertigten Ideen und Dogmen", so kann man in einem Flyer zur Ausstellung lesen.

Die dOCUMENTA (13) ist zumal bei einem einmaligen Besuch unmöglich zu bewältigen. Das soll und braucht man auch gar nicht versuchen. Einfach irgendwo reingehen - schauen / hören / spüren - und dann irgendwann aufhören. Ziemlich postmodern. Man kann sich keinen Überblick verschaffen und nach den wichtigsten Kunstwerken nur zu fragen ist lächerlich.

Ich habe die Begleitinfos fast nicht gelesen, kenne kaum Künstler und dies hat mich auch nicht interessiert. Als Theologe habe ich folgende Eindrücke bekommen, bin ich auf folgende Kunstwerke gestossen:

Schon bei der Anfahrt an eines der dOCOUMENTA (13) Zentren, dem Fridericianum, sieht man den Mann im Glockenturm von Sankt Elisabeth. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, gehört die darin stattfindende Ausstellung mit großen und kleinen Figuren gar nicht zur offiziellen dOCUMENTA. Falls nicht, dann hat diese katholische Gemeinde den weltlichen Rückenwind und die Topplage bestens genutzt. Überhaupt setzt diese Gemeinde stark auf Kunst. Mehr hierzu finden Sie hier.

In einem Raum gibt es 365 Bilder, also für jeden Tag eines. Meist handelt es sich um mehr oder minder berühmte, nachgemalte Stücke. Immerhin aber 365 von Hand gemalte Bilder eines Künstlers. Jeden Tag - so die Mähr, die ich hörte - übermalt der Maler eines seiner Bilder mit einer mehr oder minder grellen Uni-Farbe. Jeden Tag "stirbt" eines seiner Bilder, verschwindet etwas, was ihm Zeit und Mühe gemacht hat. In einem Jahr sind alle Bilder übermalt, alles zugekleistert, weg! Ist das ein Bild für den werdenden und alternden, schließlich vergehenden Menschen?

Explizit religiöse Kunst habe ich nicht angetroffen. Mit dabei ist allerdings ein Priester, Korbinian Aigner (?), der unzählige Äpfel im KZ gemalt hat. Fast ein ganzer Saal hängt voll von seinen Apfelbildern. Ob er kein anderes Motiv hatte? Oder wollte? Ob er Äpfel gerne gehabt hätte? Dass er an die Paradiesgeschichte gedacht hat, mag ich mir, angesichts der Inflation von Äpfeln, nicht wirklich vorstellen.

Ein ganz großer Saal im Fridericianum ist auf den ersten (und zweiten) Blick leer. Was für eine Verschwendung: Eine gigantische Ausstellung und ein Raum in vorzüglicher Lage wird nicht einbezogen? Wenn man in den Saal eintritt merkt man, dass es doch nicht leer ist. Ein Wind weht, verschiedene Winde wehen, je nach dem wo man sich hinstellt. Ich muss an den Heiligen Geist denken. - Der Raum ist der einzige, den ich mir zwei Mal "angeschaut" habe. Schon allein deswegen, weil die kühle Luft und die Leere so gut tut. Arbeitet der Heilige Geist auch so?

Zu guter Letzt: der Kasseler Himmelsstürmer. Er steht am Hauptbahnhof, einem der vielen dOCUMENTA (13) Hausstellungsorte. Ein Mann geht im 63° Winkel auf einer Stange in den Himmel, joggt nach oben. Die Stadt Kassel hat diese Figur seinem Kreator Jonathan Borofsky nach der DOKUMENTA IX abgekauft. Ob sie damit sagen wollte: Kassel ist eine aufstrebende Stadt? Mir fällt der Turmbau zu Babel ein... Und: Die Skulptur erinnert mich an einen Pippi Langstrumpffilm in meiner Kindheit, wo Pippi mit Klebekleister an Wänden und Decken gehen konnte. Mehr Infos über das Kasseler Wahrzeichen finden Sie hier.

 

Mein spirituelles, gefühltes Ergebnis von 5 Stunden dOCUMENTA (13):

1. Es gibt unterschiedliche Transzendenzen. Kunst (auch Musik oder Natur?) erreichen nicht Gott. Kunst kann Religion nicht ersetzen. Sie ist allenfalls Hinweise auf das Göttliche. Es bleibt in mir eine Sehnsucht nach Tiefe, die man nicht durch Perspektivenänderung von Objekten oder raffinierte Installationen darstellen oder gar stillen kann.

2. Die ganze Ausstellung erinnert mich etwas an Katholiken- bzw. Kirchentage, besonders an den Ökumenischen Kirchentag. Die dort regelmäßig vozufindende "Kirchenmeile" bzw. der "Markt der Möglichkeiten" lassen es ebenfalls nicht mehr zu, sich einen "Überblick" zu verschaffen. Es wächste in mir der Wunsch nach Linie, Klarheit, Einheit, Orientierung...

3. Wer Kunst nur mit Malen gleichsetzt ist hoffnungslos altmodisch. Manchmal hat man den Eindruck, die vergleichsweise wenigen gemalten Bilder sind Zugeständnisse an die ewig und unbelehrbar Gestrigen. Vielleicht aber ist unsere Art zu glauben genauso einseitig? Vielleicht ist Glauben polysinnig, nicht nur mit dem Verstand sondern mit Kopf, Herz, Gemüt, Fantasie, Hand und Fuß und wer-weiß-was zu praktizieren?

P. Manfred Hösl SJ