Über „Weltwärts“ nach Santiago de Chile

Richard Gräve’s entwicklungspolitischer Freiwilligendienst, erster Quartalsbericht

 

Über ein halbes Jahr wurde ich vorbereitet, Anreisechaos und volle Seminartage habe ich überstanden; am 10. August sollte nun beginnen, was Zweck der ganzen Vorbereitung war: Mein entwicklungspolitischer Freiwilligendienst über das Förderprogramm der Bundesregierung „weltwärts“. Über meine Trägerorganisation „Cristo Vive Europa“ wurde ich in den Süden der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile geschickt. Im dortigen Armenviertel „La Pintana“ arbeite ich ein Jahr im Kindergarten „Tierra de Niños“, Welt der Kinder.
An einem Dienstagmorgen kam ich mit 10 anderen Freiwilligen, die ebenfalls über „Cristo Vive Europa“ ein „weltwärts“-Projekt leisteten, in der kalten Hauptstadt an. In der ersten Woche gab es einen Schnuppertag in der Einrichtung, Behördengänge wurden absolviert und es wurde sich in den jeweiligen Freiwilligenhäusern eingelebt. Ich wohne zusammen mit vier weiblichen Freiwilligen in einem kleinen, einstöckigen Häuschen in der Nähe meines Kindergartens. Zwei meiner Mitbewohnerinnen arbeiten mit mir im Kindergarten, zwei weitere in der etwas entfernter gelegenen „Sala Cuna“, der Kinderkrippe. Zusammen haben wir eine Haushaltskasse für Lebensmittel, Putzmittel und weitere gemeinsame Anschaffungen eingerichtet. Einen wöchentlich wechselnden Aufgabenplan im Haus haben wir ebenfalls erstellt, so klappt es seit drei Monaten ganz gut mit der Ordnung und der Verfügbarkeit von Lebensmitteln im Haus. Am Wochenende gehen zwei  bis drei Freiwillige auf die „Féria“, den in der Nähe gelegenen Markt, auf dem neben Obst und Gemüse auch Klopapier oder Fahrräder gekauft werden können.
Die Wochen zwei und drei bestanden für die neu angekommenen Freiwilligen aus einem Sprachkurs, der uns 6 Schulstunden pro Tag den Gebrauch der spanischen Sprache und der chilenischen Sprachspezialitäten näherbrachte. Während dieser Zeit konnten wir Freiwilligen, da wir ab 4 Uhr Freizeit hatten, Santiago de Chile schon etwas besser kennen lernen.
Ab der vierten Woche fing der Arbeitsalltag an. Mein Arbeitstag fängt um 8:30 Uhr an und endet um 17:30 Uhr. Wenn ich nach drei Minuten Laufen im Kindergarten bin und den „Tías“ (Erzieherinnen) „Hola“ gesagt habe, gehe ich mit meinen zwei Tías in meine „Sala“, meinen Gruppenraum. Unsere „Educadora“ (studierte Erzieherin) kommt in der Regel etwas später hinzu, sie hat oft noch Büroaufgaben zu erledigen oder begrüßt schon am Eingang des Kindergartens die ankommenden Kinder. Die ersten kommen dann auch schon, entweder trinken sie dann eine Morgenmilch mit einem Stück belegtem Brot, oder sie holen sich Spielzeug aus den Regalen der Sala, falls sie schon zu Hause gefrühstückt haben. Wenn gegen viertel nach Neun alle Kinder gebracht wurden, es sind dann je nach Wetter etwa 12 – 21 Kinder, gehen wir bei gutem Wetter bald darauf in den „Patio“, den Innenhof, um dort mit den Kindern ein bisschen zu rennen und ein gemeinsames Spiel zu spielen. Danach dürfen „meine“ 4-5-jährigen noch ein bisschen weiter draußen spielen, bevor es wieder zurück in die Sala geht.
Bis kurz vor 11 Uhr wird nun einer spezifischeren Aktivität nachgegangen. Oft wird mit Buntstiften gemalt, Tag, Datum und Anzahl der anwesenden Kinder ausfindig gemacht und das ein oder andere Lied gesungen. Um 11 Uhr werden, wenn viele Kinder da sind, alle Kinder mit einem farbigen Halsband ausgestattet, dass sie einem themenspezifischen Raum zuordnet, in dem sie die nächste knappe Stunde arbeiten. Mit den fünf verschiedenen Räumen des Kindergartens gibt es auch die fünf verschiedenen Arbeitsbereiche „Siencia“ (Wissenschaft“), „Vida Practica“ (Haushalt), „Arte“ (Kunst), „Theatro“ (Theater) und „Matemática“ (Mathematik). Ich arbeite in der „Sala matemática“, was heißt, dass von 11 bis 12 Uhr Kinder von 2 bis 5 Jahren sich an Geometrie-Puzzlen oder anderem Spielzeug, welches mit Mathematik in Verbindung gebracht werden kann, ausprobieren. Bei schlechtem Wetter sind meistens weniger Kinder da, es wird nun entweder weiter gespielt oder gemeinsam gemalt oder gebastelt. Ab kurz vor 12 gibt es nach dem Händewaschen und einem Tischgebet für meine Kinder Mittagessen, füttern muss ich zum Glück so gut wie keinen mehr. Wenn es nicht regnet, geht es danach in den Patio zum Spielen.
Von viertel vor eins bis halb 2 habe ich meine Mittagspause, in der ich mit anderen Tias im Esszimmer sitze, während ich meine doppelte Portion esse und versuche, trotz zum Teil laufendem Fernseher den Gesprächen der Tias zu folgen. Nach meiner Mittagspause sind auch die Kinder wieder in der Sala, es folgen entweder spezifische Projekte, wie gemeinsames Basteln, dem vorlesen einer Geschichte, oder es wird sich weiter mit dem vorhandenen Spielzeug beschäftigt. Um die Abwechslung aufrecht zu erhalten, wird nach etwa einer Stunde wieder der Patio gestürmt, in dem sich ein Klettergerüst befindet und auch mit Bällen gespielt wird. Gegen halb 4 Uhr gibt es ein weiteres Tässchen Milch mit Brot, kurz danach machen wir Freiwilligen uns auf in die Küche. Wir schneiden Obst, damit jedes Kind, das abgeholt wird, sich ein Stück mitnehmen kann. Sie sollen so animiert werden, sich gesund zu ernähren. Die meisten Kinder werden von 4 bis halb 5 Uhr abgeholt, von halb 5 bis halb 7 sind nur noch ein paar Kinder in der „Extension“. Diese spielen ab 5 Uhr noch gut 20 Minuten im Innenhof, dann bekommen sie eine weitere kleine Mahlzeit in Form eines Joghurts oder Brotes. Nachdem diese eingenommen wurde, ist für mich der Arbeitstag beendet.
Oft ist die Arbeit natürlich eher monoton, es gilt, auf die Kinder aufzupassen, sie bei ihren Aktivitäten zu unterstützen oder mit ihnen zu spielen. Abwechslung zur Erziehungsarbeit bekomme ich dadurch, dass ich meistens Ansprechpartner bin, wenn es leichte Reparaturaufgaben gibt. Im machistisch geprägten Chile ist dies aus Sicht der Tías wohl Männersache. Da ich der einzige Mann im Kindergarten bin, gibt es so immer wieder etwas zu hämmern, zu nageln, zu schrauben oder zu tragen für mich.
Nach der Arbeit stehen nun entweder häusliche Pflichten an, ich bereichere mir meinen Feierabend aber auch gerne durch andere Aktivitäten. So fahre ich jeden Dienstag und Donnerstag zum Volleyballtraining und mache montags Musik mit einer Tía in einer nahegelegenen kleinen Kirchengemeinde. Die Wochenenden über erlebe ich ebenfalls viel, so habe ich schon die Hafenstadt Valparaíso, das Andental „Cajon del Maipo“ und diverse Orte in Santiago sowie die anderen Freiwilligenhäuser kennen gelernt. Zusätzlich arbeite ich noch viel in und um ein Gewächshaus auf der Zentrale der „Fundacion Cristo Vive Chile“, die die Einrichtungen, in denen die Freiwilligen arbeiten, aufgebaut hat und in Chile der Arbeitgeber ist. Auch Kontakte zu Einheimischen habe ich schon geknüpft, die Sprachbarriere ist nach drei Monaten so gut wie überwunden, nur ein klares Vokabeldefizit macht sich noch bemerkbar.
Die Zeit bisher kann ich auf jeden Fall sehr genießen, auf die neun Monate vor mir freue ich mich schon.
Richard Gräve