Versöhnung mit Schuld und Sünde?

Marcus Grabisch über einen besinnlich-informativen Diskussionsabend mit P. Theo Schneider SJ

Viele Menschen versammelten sich am Dienstagabend, 28.3. im Gemeindesaal von Sankt Michael, denn Göttingens Citypastoral hatte zu einem Vortrag über „Versöhnung mit Schuld und Sünde?“ eingeladen.

„Wie oft, wann und wie zu beichten sei, ist nicht zuallererst Thema des Abends. Denn dies wäre eine Verkürzung der Thematik von Schuld und Sünde. Ähnlich wie der Ausspruch ,Mann schießt auf Obst‘ eine Verkürzung von Wilhelm Tells Schuss auf seinen Sohn ist“ so Pater Theo Schneider SJ zu Beginn seines Vortrags. Die strukturelle Sünde, die die Kirche als Erbschuld bezeichnet, sollte an dem Abend nicht thematisiert werden. Vielmehr ging es Pater Schneider SJ um die persönlich zu verantwortende Sünde oder Schuld. Wenngleich die Sünde keine Privatsache ist und immer gesellschaftliche Folgen hat, sagte Schneider.

Zunächst grenzte der Referent die Begriffe Sünde und Schuld in ihrer klassischen Bedeutung ab. Sünde ist vor allem ein religiöser Begriff, wobei auch das Sündigen heute oft in der Werbung verkürzt wird. Als Beispiel führte der Cityseelsorger das „Kaloriensündigen“ im Café an. Auch in Kirchenkreisen ist, für Schneider, eine Engführung zu erkennen. Sünde wird oft als aktive und bewusste Handlung definiert. Allerdings, ist auch das Unterlassen des Guten immer wieder ein großer Keil, der zur Spaltung führt, wusste Pater Schneider SJ zu berichten. Sünde ist ein religiöser Begriff, der in der Heiligen Schrift und der Tradition als Verfehlung des eigenen Sinns verstanden wird. Das bedeutet, dass der Mensch Gott verfehlt, führte Schneider weiter aus.

Schuld hingegen ist ein juristischer Begriff, sagte Schneider, um danach auch die heutige Definition von Schuld und Sünde zu benennen. Beide Begriffe werden heute mehr oder weniger synonym gebraucht und bezeichnen das Fehlen von Mitgefühl und Liebe. Es handelt sich um eine Weigerung zu lieben. Diese Weigerung ist ein „Attentat auf Gott“, hielt Pater Schneider SJ fest.

Nach der allgemeinen Definition der Begriffe ging der Referent darauf ein, dass es zwei Arten von Sünde in der katholischen Lehre gibt. Nämlich die lässliche und die schwere Sünde. „Wo aber ist die Grenze zwischen beiden?“, fragte Schneider die Zuhörer im Gemeindesaal. Die Grenze sei seit 50 Jahren in der Auflösung, erklärte er. Theo Schneider erzählte, dass er mit der festgesetzten Grenze aufgewachsen sei. „Eine Scheibe Wurst am Freitag war noch lässliche Sünde. Schwere Sünde begann ab 50g Fleisch“, wusste Schneider zu berichten. Die heute üblich Frage: „Stehe ich in einem guten Verhältnis zu Gott?“ spielte damals überhaupt keine Rolle, so der Seelsorger. Das persönliche Gewissen war nicht gefragt und es ging mehr um die Einzeltat, als um die innere Haltung, fasste Pater Schneider SJ die früheren Ansichten zusammen.

Durch das Bild einer Bergwanderung verdeutlichte der Priester die Sünden. Auf einer Bergwanderung möchte man den Berggipfel erreichen, sagte Schneider. Und ab und zu kommen schöne Plätz rechts und links des Weges. Da kann man dann Kompromisse machen und am Bergsee anhalten. Die Grundentscheidung ist aber immer noch, den Berggipfel zu erreichen. Viele Kompromisse auf dem Weg können aber dazu führen, dass das ursprüngliche Ziel, nämlich den Berggipfel zu erklimmen, aus den Augen verloren wird, erklärte Theo Schneider. Dies zeige uns auch die Redewendung aus dem Talmud (mündliche Lehre der Gesetze und religiösen Überlieferungen des Judentums nach der Babylonischen Gefangenschaft): „Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen. Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten. Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter. Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.“ Die Sünde wird also schleichend zum Verhalten und zur Grundentscheidung für das Leben.

Obwohl die Grenze zwischen lässlicher und schwerer Sünde schwindet, finden sich Merkmale (1. Maß der Entscheidungsfreiheit, 2. Klarheit der Erkenntnis, 3. Gewichtigkeit der Sache) der schweren Sünde im neuen Gotteslob (GGB: 593,2), hielt Theo Schneider fest. Und dies finde er auch wichtig, denn das Verschwinden der Grenze schaffe Unsicherheiten bei den Gläubigen, die ihn immer wieder fragen, ob sie jetzt eine schwere Sünde begangen hätten oder nicht.

Nachdem der Cityseelsorger die Begriffe Sünde und Schuld erläuterte, stellte er die Frage, ob man beichten müsse, in den Raum. Bis 1983 (der Reform des Kirchenrechts) musste einmal im Jahr gebeichtet werden, danach nur noch einmal im Jahr bei schwerer Sünde, wusste Pater Schneider SJ zu berichten.

Bevor er auf die Frage noch näher einging, ermunterte Theo Schneider die Zuhörer zu einem Gespräch in Kleingruppen.

Nach einer guten halben Stunde des intensiven Austauschs ergriff Schneider wieder das Wort und gab ein paar Beispiele dafür, warum es Menschen schwer fällt zu beichten. Gründe, die dem Seelsorger berichtet wurden, sind: Scham, das immer wieder dasselbe gebeichtet wird, Erfahrungen des Ausgeforscht-Werdens, die Unklarheit über die Sünde, die Angst vor Verdammung oder der Unwillen mit Skrupel leben zu müssen.

Daran anschließend gab Theo Schneider vier Gründe für die Beichte: 1. Zur Vergewisserung was die Bibel sagt, nämlich: die Liebe Gottes lässt sich durch das Böse keine Grenze setzen und Gott liebt bedingungslos. 2. Die Wahrheit wird euch frei machen. Ausgesprochenes hat eine andere Qualität, als das, was nur Gedanke bleibt, sagte Schneider. Denn man kann erst zu einer Sache stehen, wenn sie ausgesprochen ist. 3. Beichte ist der Durchbruch zur Gemeinschaft. Schneider zitierte Dietrich Bonhoeffer, als er sagte: „Die Sünde will mit dem Menschen alleine sein.“ Das Aussprechen führt in die Gemeinschaft zurück, erklärte Theo Schneider. Denn wenn die Sünde ausgesprochen ist, hat sie alle Macht verloren. Sie kann den Menschen nicht mehr isolieren. 4. Alles muss irgendwo angesprochen werden. Als Beispiel führte Schneider das Fechtfinale bei den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam an. Dort wurde der Kampf unterbrochen, weil unklar war, ob es eine Berührung gab oder nicht. Nach kurzer Beratung kamen die Schiedsrichter zu dem Ergebnis, dass es keine Berührung gab und das Finale weitergehen sollte. Doch der eine Kämpfer sagte ganz unvermittelt, dass er getroffen wurde. Er hatte also, sagte Schneider, die Goldmedaille, die er möglicherweise gewonnen hätte, gar nicht haben wollen. Er wollte nicht unehrlich sein und den Rest seines Lebens mit dieser Lüge leben. „Wenn er es aber doch getan hätte?“, fragte Theo Schneider sich. Wem hätte er später davon erzählen können, wenn er viele Jahre später ein schlechtes Gewissen bekommen hätte? Für Schneider gibt es nur eine Antwort: „Gott“.

„Beichten macht frei“ sagte der Jesuit, der selbst, wie er erzählte, eine Erfahrung bei der Beichte hatte, die ihm das Beichten für viele Jahre unmöglich machte. Der Beichtvater zeigte nicht nur kein Verständnis für ihn als Jugendlichen, sondern bezichtigte ihn lautstark, so dass alle anderen außerhalb des Beichtstuhls es hören konnten, der schweren Sünde. Nur weil er ohne zu beichten mehrmals zur Kommunion gegangen war. Für mich als junger Mensch unvorstellbar!!

Zurückkehrend auf die Frage, ob man beichten müsse, antwortete Schneider, dass er das nicht mit einem einfachen Ja oder Nein pauschal beantworten kann. Theo Schneider beantwortete von sich aus auch gleich noch die Frage wie und wann man beichten müsse. Wann? Im Alltag immer, sagte der Jesuitenpater. Mit den Worten: „Verzeih mir“ an den Mitmenschen. Wenn schwere Lieblosigkeit Beziehungen beeinträchtigt, könne auch eine Beichte in der Kirche ratsam sein. Denn das Beichtgespräch, für das Pater Schneider SJ plädiert, kann eine große Hilfe sein, aber ohne das ganze Leben ausbreiten zu müssen und ohne Ängstlichkeit. Die Feier der Versöhnung im Gotteslob Nr. 594 kann hier in den Augen von Schneider Leitfaden sein.

Marcus Grabisch