Was und wie glauben eigentlich... die Zeugen Jehovas?!

Die Göttinger Gemeinden öffnen ihre Räume und erzählen von ihrerm Glaubensleben

 

 

 

Jeder kennt sie, jeder ist ihnen schon begegnet! Sie stehen in den Fußgängerzonen, an Bahnhöfen oder vor der Haustür: die Zeugen Jehovas!

Aber wer sind sie? Was glauben sie? Was ist ihnen wichtig? Diese und ähnliche Fragen standen im Focus beim Besuch des Königreichsaals in der Rudolf-Winkel-Str. 4 im Göttinger Industriegebiet. Kein Zufall, wie einer der Ältesten bemerkte. Für Wohngebiete geben die Städte nicht so gerne Baugenehmigungen. Und in der Tat: Wer möchte schon Sonntag für Sonntag oder gar noch werktags von Autos mit fremden Kennzeichen zugeparkt werden? Die Zeugen Jehovas haben dafür Verständnis und scheinen sich in ihrem Königreichsaal - so nennen sie ihre Versammlungsorte - wohlzufühlen. Die Glaubensgemeinschaft vermeidet alle typisch kirchlich klingenden Begriffe. es gibt keine Pfarrer oder Pastoren, keine Kirchen oder Kapellen, keine Liturgie, keine Gottesdienste. Statt dessen dominieren neutrale, fast bürokratische Begriffe wie Ältester, Versammlungsleiter oder Bezirkskongress.

Herr Wilfried Voigtländer kann sich seit seiner Pensionierung dem "Dienst" voll widmen - und tut dies auch. Er, wie auch alle anderen anwesenden Zeugen Jehovas (Männer und Frauen) sind ausgesprochen höfliche Menschen. Freilich sehen sie die Latte bei aktiven Zeugen Jehovas - andere gibt es nämlich auch... - ziemlich hoch liegend. Biblische Maßstäbe müssen erfüllt werden. Wer eine höhere Aufgabe in der Gemeinschaft anstrebt, der wird streng geprüft, was nicht heißt, dass die ZJ Menschen, die die biblischen Kriterien nicht erfüllen verachten. Die dürfen auch kommen, müssen aber akzeptieren, dass sie keine tragende Rolle in der Versammlung (Gemeinde) einnehmen können.

In Göttingen gibt es drei Teilgemeinden: Gö-Nord und Gö-Süd mit je ca. 65 getauften ZJ sowie eine russisch sprachige Gemeinde mit ca. 55 Mitgliedern. Dabei handelt es sich dann aber in den allermeisten Fällen nicht nur um Sympathisanten, sondern um Mitglieder, die bereit sind mehrere Stunden pro Woche für ihren Glauben einzutreten, z.B. im Dienst an der Haustüre. Da, so Herr Voigtländer, wird man manchmal barsch abgefertigt, manchmal aber auch interessiert empfangen. Seit einigen Jahren sind die ZJ mit Trolleys in der Fußgängerzone zu sehen. Den reservierten Platz in der Nähe des Gänseliesl müssen sie freilich stets begründen - mit ihrer regelmäßigen Anwesenheit. Aber in Punkto Werte wie Zuverlässigkeit sind die ZJ nicht leicht zu schlagen. In Göttingen ist etwa jeder 1000.te ein ZJ. Das ist viel weniger als im Bundesdurchschnitt, wo etwa auf 500 Bundesbürger ein ZJ kommt. Weltweit gibt es 8 201 545 ZJ in 115 416 Versammlungen - so die offiziellen Zahlen.

Im ersten Teil versuchten die ZJ zu erklären, wer sie sind. Dabei orientierte man sich an der eigenen Homepage, die auch am Beamer eingeblendet war. Überhaupt scheint die Glaubensgemeinschaft in Punkto Technik am Ball zu sein: Die Homepage ist gut aufgebaut und alle Mikros im Saal funktionierten tadellos. Zwei kurze Videos erklärten präzise wichtige Dinge im Glaubensalltag. Herr Voigtländer saß zentral auf einem Stuhl mit Tischchen führte freundlich, aber mit Autorität durch den Abend. Alles (!) wurde unmittelbar mit einer Bibelstelle aus der ZJ-eigenen Neue Welt Übersetzung belegt - für manchen Besucher vielleicht etwas ungewöhnlich. Herr Voigtländer stellte eine Frage, jemand nannte die passende Bibelstelle und eine weitere Person interpretierte den Vers.

Der Name Zeugen Jehovas leitet sich von Jes 43,10f her. Aber auch in Apg 15,14+17 und vielen anderen Stellen werden die Christen aufgefordert Zeugnis zu geben. Diesem Ruf wollen die ZJ nachkommen. Wer darauf anspricht kann und muss ein u.U. mehrjähriges Bibelstudium durchlaufen. Die Taufe muss auf jeden Fall aus freiem Willen erfolgen und erfolgt nur nach gründlicher Prüfung. Geheiratet wird zivil, aber es gibt eine besondere Versammlung mit einem zugeschnittenem Vortrag, im weitesten Sinne also einer Zeremonie. Freilich ist den ZJ alles Liturgische fremd und suspekt. Selbst das Vater Unser wird nicht gebetet. Während die Struktur eher der eines Konzerns als einer Kirche gleicht, sind die "Gottesdienste" schon nominell Versammlungen bzw. mit aus der Bürokratie bekannten Begriffen versehen. Es gibt im Jahr eigentlich nur einen einzigen rituellen, zeremoniellen Gottesdienst - und zwar immer am 14. Nissan, dem "Gründonnerstag" an dem man des Todes Jesu gedenkt. Dort gibt es zwar die Symbole von Wein und Brot, aber faktisch isst niemand (mehr) davon, denn dies ist nur den 144 000 Auserwählten zugestanden, die mit Christus im Himmel herrschen werden. Der (heilige) Rest, also auch die meisten ZJ, werden "nur" auf einer erneuerten Erde ewig leben.

In der Mitte des Abends wurde eine Pause gemacht - die Gemeinde hatte Getränke und kleine Süßigkeiten bereitgelegt. Auch gab es viele Broschüren zum mitnehmen. Theologische Bücher von Nicht-ZJ suchte man allerdings vergeblich. Immerhin benützen sie von Fall zu Fall auch andere, als die eigene Bibelübersetzung.

Am Schluss wurde die Zeit zu knapp, weil es so viele Fragen gab, die Herr Voigtländer und sein Team alle höflich versuchten zu beantworten. Die organisatorischen und historischen Fragen können dabei leicht im Internet recherchiert werden. Aber offensichtlich waren die Vertreter damit auch gar nicht sehr bewandert. Wichtiger ist ihnen eine unmittelbare Begründung aus der Bibel herleiten zu können. Und der erste ZJ war ihrer Ansicht nach nicht Russel oder Rutherford sondern Abel - Kains Bruder.

Einige Fragen, die aufkamen:

Unterricht und Religionsunterricht: Die ZJ melden ihre Kinder von Reli ab, weil Religionsunterricht grundsätzlich Aufgabe der Eltern ist. Unterrichtseinheiten wie die Evolutionslehre wird zur Kenntnis genommen. Zuhause, im Familienbibelstudium wird den Kindern die Sicht der Bibel nach den ZJ gelehrt. Von Martinsumzügen distanzieren sich die ZJ klar. Die ZJ haben zwar wiederholt in ihrer Literatur auf den heidnischen Ursprung vieler Feste und Feiertage hingewiesen, doch sie tolerieren die Gewohnheiten ihrer  Mitmenschen. Sie erwarten jedoch im Gegenzug, dass die Öffentlichkeit auch ihre auf die Bibel gestützte Haltung akzeptiert.

"Eltern von JZ zeigen ihre Zuneigung zu ihren Kindern u.a. dadurch, dass sie ihnen das ganze Jahr über, ohne an bestimmte Daten gebunden zu sein, Geschenke machen und mit ihnen Feste wie Garten - oder Kinderfeste feiern. Solche familienorierentierten  Anlässe sind Gelegenheiten für Kinder, auch andersgläubige Kinder aus Schule und Nachbarschaft einzuladen", so Herr Voigtländer zum Themenkomplex Feste und Feiertage für Kinder.

Natürlich grenzen sich die ZJ dadurch dennoch auch von anderen aus und ab. Das wird durch die Familienzusammenkünfte aufgefangen und durch familiäre Treffen mit anderen ZJ. Das kann am leichtesten gelebt werden, wenn in einer Ehe beide Partner ZJ sind, was für einen der Sprecher auch ein wichtiges Kriterium bei der Partnerwahl war.

Am Ende, nach drei (!) Stunden, musste man den Abend regelrecht abbrechen, sonst wäre das noch Stunden so weitergegangen. Herzlichen Dank an Herrn Voigtländer und die anderen Zeuginnen und Zeugen Jehovas für diesen informativen Abend. Übrigens zu den Versammlungen darf man immer dazu kommen. Wann und wo steht im Internet oder im Telefonbuch.