Wie tickt der Vatikan und wie ticken die Deutschen?

P. Eberhard von Gemmingen SJ mit Innenansichten aus dem Vatikan

 

 

 

 

Ein hoher Besuch war gestern Abend zu Gast in Sankt Michael: Pater Eberhard von Gemmingen SJ, ehemaliger Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan. Er beleuchtete den dritten Aspekt der dreiteiligen Veranstaltungsreihe über Ignatius, die Jesuiten und den Vatikan. Ganz schnell war klar, dass Rom mehr als Deutschland im Blick hat, dass unsere Kirche eine Weltkirche ist und dass innere Auseinandersetzungen und Kritik manch deutscher Katholiken mit Rom zunächst einmal mit unterschiedlichen Mentalitäten zu tun haben. Von Angelsachsen, Slaven, Romanen und Germanen war da die Rede. So wie die Angelsachsen zum Beispiel sich eher pragmatisch verhalten, so tendieren die ordnungsliebenden Deutschen eher dahin, Übereinstimmung mit Autoritäten zu erreichen. Wenn das aber nicht funktioniert, dann kann es schwierig werden. Diese Verhaltens- und Denkmustern lassen sich quer durch die Kirchengeschichte lesen und wirken bis heute. Sie zeigen ihre Auswirkungen sogar in der wirtschaftlichen Rolle Deutschlands in Europa. -

 

Wie macht sich der neue Papst? Diese Frage interessierte natürlich alle im voll besetzten Saal von Ancora. Dazu zitierte Pater Eberhard von Gemmingen SJ aus dem offenen Brief von Papst Franziskus, der manches offen lässt, aber noch viel mehr zu hoffen vermag. -

 

Große Bewegungen sind in der Weltkirche zu Gange: während Mitteleuropa eine Säkularisierung auf breiter Ebene erfährt, boomt die kath. Kirche in China, Südkorea und Vietnam. Beeindruckend wie ein einfaches Beispiel aus der Bibel, das Gleichnis vom verlorenen Sohn bzw. vom barmherzigen Vater, in China ankommt: auch wenn ich Mist gebaut habe, empfängt mich der Vater mit offenen Armen. Ich verliere nicht mein Gesicht und bin nicht ein für allemal am Ende. Das ist das Tolle am Christentum! -

 

Pater Eberhard von Gemmingen SJ stellte sich geduldig, aufmerksam, bescheiden und warmherzig den vielen Fragen des Publikums. Ganz Ohr war er bei den Einschätzungen der Anwesenden über die aktuelle Situation der Kirche in Deutschland. Viele wenden sich von der Kirche ab, es gibt viele Verletzungen und Enttäuschungen aus Erfahrungen mit dieser Kirche. Was haben die vielen Diözesansynoden letztendlich gebracht? Warum stärkt die Kirche nicht mehr die Frauen, denen es doch in erster Linie nicht um ein Frauenpriestertum geht? Glaubens- bzw. Gotteskrise ja, die ist eindeutig vorhanden, aber die Fragen und Probleme, um die Kirchengemeinden und Bistümer oft kreisen, sind nicht die Fragen und Probleme der Menschen von heute. -

 

Wie wird ein Pater Eberhard von Gemmingen SJ am nächsten Tag wieder aufbrechen? Was nimmt er mit? Auf jeden Fall konnte er einen Eindruck gewinnen von Menschen in einer Stadt wie Göttingen, die nüchtern und beherzt weiter ihren Weg mit dieser Kirche gehen.

 

Mechthild José´-Thumbeck