Zu Besuch bei den "Heiligen der letzten Tage"

Einblick in das Leben der Göttinger Mormonen

Die Reihe "Was glauben die anderen?" führte am Mittwochabend etwa 20 Interessierte in die Nähe der St. Godehard - Kirche. Dort, im AOK - Gebäude gegenüber, im 3. Stock, ist das Gemeindezentrum der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (HLT), oft auch einfach Mormonen genannt. Dort begrüßten uns gleich mehrere Mitglieder dieser Kirche aufs Herzlichste: Der Gemeindeleiter, Herr Sommer mit seiner Frau, Frau Hopf, Frau Wagenrad, sowie die derzeit anwesenden Missionare aus den USA Elder (= Ältester) Anderson und Elder Bishop. Allerdings handelt es sich hier keineswegs um Älteste im wörtlichen Sinn, sondern um junge Männer um die zwanzig. Erster Ansrechpartner aber war Herr Bleyl aus Hagen, der zuständige Öffentlichkeitsreferent des Bezirks, zu dem Göttingen dazugehört.

Im Stuhlkreis versammelt erzählte Herr Bleyl (er wurde mit 10 Jahren vom Klempner bekehrt...) zunächst etwas über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede mormonischen und christlichen Glaubens, wobei sich die Mormonen selbst klar als Christen neben anderen Christen sehen. In gewisser Weise glauben - laut Artikel 1 des HLT-Credos - auch diese an den dreifaltigen Gott. Allerdings handelt es sich nach ihnen dabei um drei körperliche, von einander getrennte, Personen. Auch glauben die HLT wie Katholiken an die Bibel - allerdings nur "insoweit sie richtig übersetzt ist". Und auf Augenhöhe gibt es noch weitere Offenbarungsschriften, allen voran das Buch Mormon.

In der Diskussion ging es zunächst um Glaubensinhalte. So kennen die HLT eine stellvertretende Taufe für tote, ungetaufte Ahnen. Die biblische Begründung dazu sehen sie im rätselhaften Vers 1 Kor 15,29, wo Paulus von einer solchen Taufe spricht, ohne dies allerdings näher zu beschreiben. Diese Praxis der Totentaufe hat dazu geführt, dass Mormonen heute die größten genealogischen Forschungseinrichtungen haben. Auch das Göttinger Institut, das von der aus Geismar stammenden Frau Edelgard Wagenrad geleitet wird, wird oft und meist von Nichtmormonen angefragt.  Anscheinend interessieren sich viele Menschen für ihre Vorfahren! Frau Wagenrad ist übrigens das einzige "Gänseliesl" der HLT. Sie gehört seit 50 Jahren zur Göttinger Gemeinde!

Derzeit gibt es in der Welt etwa 14,5 Mio HLTs. Ein Schwerpunkt ist natürlich Utah bzw. die USA. Allerdings leben mittlerweile die meisten Mormonen schon außerhalb der USA, v.a in Lateinamerika gibt es Zuwächse. In Deutschland dagegen bleibt mit ca. 36 000 die Zahl seit Jahren konstant. In Göttingen gibt es eine kleine Gemeinde. Am Sonntag kommen zwischen 25-30 Mitglieder zum Gottesdienst.

Dann zeigten die anwesenden Gemeindemitgliedern den Gästen alle Räumlichkeiten der Gemeinde. Alles wirkt noch neu und frisch bezogen. Die Gestaltung verrät eine eher zurückhaltende, "reformierte" Tradition. So gibt es in der Kapelle kein Kreuz oder Bild. Nur beim weiblichen Zweig, der sog. Frauenhilfvereinigung (FHV) ist es etwas bunter. Die HLT haben eine eher klassische Rollenverteilung. Das zweistufige Priestertum ist nur den Männern vorbehalten. Allerdings kann man schon mit 13 Jahren zum aaronitischen Priester ordiniert werden und ein paar Jahre darauf zum melchisedekischen Priester. Dann hat jeder (männliche) HLT prinzipiell alle Vollmachten.

Finanzieren tut sich die Kirche durch den Zehnt: alle Mitglieder werden angehalten 10% ihres Einkommens der Kirche zu geben. Dies wird allerdings nicht streng kontrolliert... Bekannt ist auch das Wort der Weisheit, nach dem es Mormonen nicht erlaubt ist zu rauchen, Alkohol, Teein oder Koffein zu trinken. Der Fröhlichkeit im Gemeindeleben scheint dies aber keinen Abbruch zu tun.

Die Fragen und Gespräche waren so spannend, dass alle beinahe das wunderschön vorbereitete Buffet vergessen haben! Fazit: Die Göttinger HLT sind eine kleine, freundliche und junge Truppe. Unklar blieb letztlich, was einen Deutschen heutzutage bewegt oder bewegen könnte sich einer Glaubensgemeinschaft anzuschließen, die dem Gläubigen doch solch gewaltige Sonderinhalte zumutet. Vielleicht sind es einfach die netten Leute?

Mehr Infos über die Heiligen der letzten Tage gibt es auf deren Homepage unter www.mormonen.org oder unter dem entsprechenden WIKIPEDIA-Artikel.