"Zu spät, auf Nummer Sicher zu gehen“

Ehemaliger Landesrabbiner Henry G. Brandt erhält Edith-Stein-Preis

 

 

 

Göttingen (kpg) – Der ehemalige niedersächsische Landesrabbiner Henry G. Brandt ist im Alten Rathaus von Göttingen mit dem Edith-Stein-Preis geehrt worden. Er ist der erste Vertreter jüdischen Glaubens, der die Auszeichnung bekommt.

In einer Sache waren sich alle Anwesenden einig: Es sei

keinesfalls selbstverständlich, dass Brandt diesen Preis annehme. Das betonten

Göttingens Bürgermeister Wilhelm Gerhardy und Dr. Monika Pankoke-Schenk, die

Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der Edith-Stein-Gesellschaft, in

ihren Grußworten sowie der Aachener Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff in seiner

Laudatio auf den Preisträger. Schließlich sei die Jüdin Edith Stein nach einer

Phase der gänzlichen Abkehr von aller Religion zum Katholizismus konvertiert. Der

Preisträger selbst konterte charmant:

„Der sicherste Weg wäre gewesen, dankend abzulehnen. Aber in meinem Alter ist

es zu spät, auf Nummer Sicher zu gehen“, so der 84-Jährige, der mit seiner Frau

und seinen beiden Töchtern zur Verleihung angereist war.

 

 

 

Tatsächlich habe er zunächst Zweifel gehabt, den Preis

anzunehmen, da die Person Edith Stein im Judentum nicht unumstritten sei. So

könne er ihren Weg zum Katholizismus nicht absegnen, aber er könne ihn

respektieren. „Denn wer kann sich schon wirklich in das Herz einer anderen

versetzen?“ Den Preis anzunehmen, sei für ihn darüber hinaus nicht zuletzt

„eine Chance der Geschwisterlichkeit“ gewesen.

 

 

 

Für eben dieses Bemühen um Verständigung zwischen Judentum

und Christentum wurde Brandt geehrt. Als Landesrabbiner in Niedersachsen (1983

bis 1995) habe er dazu beigetragen, dass die Jüdische Gemeinde in Göttingen neu

gegründet werden konnte. Auch in schwierigen Zeiten – etwa bei der Debatte um

die Neufassung der Karfreitagsfürbitte 2008 – habe er den Gesprächsfaden zur

katholischen Kirche nicht abreißen lassen, so das Kuratorium des

Edith-Stein-Kreises. Andere Vertreter jüdischen Glaubens hatten aus diesem

Grund eine Teilnahme am Katholikentag in Osnabrück abgelehnt. Brandt hielt

dagegen: „Gerade jetzt darf das Gespräch nicht abgebrochen werden.“

 

 

 

Diese „ausgeprägte Gesprächsbereitschaft“ lobte auch

Laudator Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff, Vorsitzender der Unterkommission für

die religiösen Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz. Dass

sich das christlich-jüdische Verhältnis seit dem Zweiten Weltkrieg „dramatisch

verbessert“ habe, sei vor allem den Menschen zu verdanken, die trotz der

Erfahrung der Shoah aufeinander zugegangen seien, so Mussinghoff. „Das erfüllt

uns Christen noch heute mit großer Dankbarkeit. Und in diesen Dank schließe ich

Sie mit ein“, so der Bischof, der den Preisträger am Ende seiner Laudatio auch auf Hebräisch

würdigte: „Gesegnet sei Gott, dass er uns Henry Brandt gegeben hat.“

 

Henry G. Brandt wurde 1927 in München geboren. 1939 floh er mit seiner

Familie nach Palästina. Nach dem

Militärdienst in Israel studierte er zunächst Wirtschaftswissenschaften in Belfast.

Nach Tätigkeiten als Marktanalytiker begann er im Alter von 30 Jahren ein

Studium am Leo-Baeck-College in London. 1961 erwarb er das Rabbinerdiplom und

leitete Gemeinden in Leeds, Genf, Zürich und Göteborg. Von 1983 bis 1995 war er

Landesrabbiner in Niedersachsen, von 1995 bis 2005 Landesrabbiner von

Westfalen-Lippe. Brandt ist seit 1985

jüdischer Vorsitzender des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für

christlich-jüdische Zusammenarbeit. Außerdem ist er Mitglied im Gesprächskreis

„Christen und Juden“ beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken.

 

 

 

Der Edith-Stein-Preis wird alle zwei Jahre in Göttingen verliehen. Die

Auszeichnung besteht aus einer Medaille mit der Inschrift „Unsere Menschenliebe

ist das Maß unserer Gottesliebe“ sowie einem Preisgeld von 5000 Euro. Mit dem

Preis ehrt der Edith-Stein-Kreis Personen und Institutionen, die sich durch

Grenzüberschreitungen in ihrem sozialen, politischen und gesellschaftlichen

Engagement bewährt haben. Zu den bisherigen Preisträgern gehören das

Maximilian-Kolbe-Werk, die Bruno-Hussar-Stiftung, Schwester Karoline Mayer, der

Hildesheimer Altbischof Dr. Josef Homeyer und der ehemalige Göttinger Dechant

Prof. Dr. Joop Bergsma. Die mittlerweile Verstorbenen Homeyer und Bergsma

ehrten die Anwesenden in einer Gedenkminute.

 

Göttingen, 31. Oktober

2011

Weitere Fotos und Redemanuskripte finden Sie auf der Internetseite des Edit-Stein-Kreises...